Es ist eines der Kernvorhaben, ein Prestigeprojekt der türkis-blauen Bundesregierung - und eines der umstrittensten: die Reform der Mindestsicherung, des letzten sozialen Sicherheitsnetzes in Österreich, die heute im Nationalrat beschlossen werden soll. Die Regierung verspricht sich von der Reform „mehr Treffsicherheit“, die Opposition spricht vom „Sparen bei den Ärmsten der Armen“ und „Hartz IV“-Zuständen.

Klar ist jedenfalls: Es geht nicht um Einsparungen bei der Summe, sondern um die Frage, wie die staatliche Leistung - sie soll nun wieder „Sozialhilfe“ heißen, nicht mehr Mindestsicherung - verteilt werden soll.

Wir berichten live aus dem Parlament ab 9 Uhr:

Geht es nach dem Willen der Regierung, sollen Alleinerziehende und Behinderte in Zukunft ein wenig mehr bekommen. Keine Sozialhilfe mehr sollen dagegen subsidiär Schutzberechtigte bekommen (abgelehnte Asylwerber, die trotzdem in Österreich bleiben dürfen). Gekürzt wird auch bei Familien mit mehr als drei Kindern und bei Empfängern, die nicht gut Deutsch sprechen.

In Summe schätzt die Regierung, dass der Staat rund 17 Millionen Euro mehr im Jahr für die Sozialhilfe ausgeben wird als bisher. Derzeit kostet die Mindestsicherung die öffentliche Hand etwa eine Milliarde Euro im Jahr.

Ganz genau kann die Koalition das aber nicht bestimmen. „Armenwesen“ ist nämlich eine Angelegenheit nach Artikel 12 des Bundes-Verfassungsgesetzes - das heißt, dass der Bund nur Grundsätze vorgeben darf; die Länder müssen neun einzelne Detailgesetze beschließen.

Im konkreten Gesetz, das heute wohl mit den Stimmen von Türkis-Blau beschlossen wird, heißt das: Es wird ein nach einem Modulsystem errechnetes Maximum geben, das die Länder auszahlen dürfen. Der Basisbetrag ist der an der Mindestpension angelehnte Netto-Ausgleichszulagenrichtsatz (2018: 863 Euro), für weitere Personen und Kinder (25 Prozent bei einem, 40 Prozent bei zwei, plus fünf Prozent ab dem dritten Kind) gibt es Zuschläge. Ein Teil dieser Basissumme soll als Sachleistung ausgezahlt werden - etwa als Miete, die die Länder künftig dem Vermieter direkt überweisen. In begründeten Einzelfällen können die Länder 30 Prozent aufschlagen.

Weitere Zuschläge sind für Alleinerziehende und Behinderte vorgesehen. Im Gegensatz dazu müssen die Länder Sozialhilfebeziehern, die nicht gut genug Deutsch (oder fließend Englisch) sprechen, 35 Prozent der Leistung kürzen - Geld, das sie in Deutschkurse und andere Qualifikationsmaßnahmen investieren sollen.

In manchen Konstellationen und Ländern wird der neue Maximalbezug höher, in anderen niedriger als bisher liegen. Vor allem die rot regierten Länder haben Protest gegen das neue Gesetz angekündigt - als sicher gilt, dass die neue Sozialhilfe vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten wird.

Zuletzt ist die Koalition Kritikern ein kleines Stück entgegengekommen: Spenden (außer besonders hohe und solche, die vier Monate oder länger überwiesen werden), die Behindertenhilfe und Heizkostenzuschüsse sollen die Sozialhilfe nicht schmälern.

„Es ist ein Teil davon erreicht worden, wofür wir gekämpft haben“, sagt die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) - sie kritisiert, dass die steirische Wohnbeihilfe künftig nicht mehr möglich ist.

Im Nationalrat sind emotionale Debatten zu erwarten: Schon gestern hat etwa Caritas-Präsident Michael Landau die Abgeordneten aufgefordert, gegen das neue Gesetz zu stimmen: „Statt Mindestbeträgen gibt es jetzt Höchstbeträge“, und: „Die Schlangen vor den Suppenbussen müssen kürzer werden, nicht länger.“