In seinem Interview in der Zeit im Bild 2 hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gestern Abend eine Vergleichsrechnung angestellt, die den Handlungsbedarf bei der Mindestsicherung illustrieren soll:

"Ein Verkäufer zum Beispiel, der in Österreich arbeiten geht und 1.600 Euro netto verdient, verheiratet ist - seine Frau ist zuhause und er hat drei Kinder. Also ein Arbeitnehmer mit 1.600 Euro Einkommen. Der kommt als Familie, wenn man alles zusammenzählt - 13., 14. Gehalt, Familienbeihilfe, alles zusammen - auf eine Summe von 2.500 Euro netto pro Monat.

Ein Mindestsicherungsempfänger, eine Familie in der selben Situation, also mit drei Kindern kommt derzeit mit dem alten Modell auf eine höhere Summe, nämlich auf 2.600 Euro pro Monat. Das heißt, die Familie, wo niemand arbeiten geht, steigt besser aus finanziell als ein Mensch, der 40 Stunden ganz normal arbeiten geht in Österreich. Das ist ja ein absurdes System.

Was wir als Bundesregierung daher gemacht haben: Wir haben den Familienbonus eingeführt. Die Familie, bei der einer arbeiten geht, 1.600 netto verdient, insgesamt 2.500 bekommt derzeit, der wird in Zukunft mehr zum Leben haben, nämlich rund 2.700 Euro. Und bei der Mindestsicherung in kinderreichen Familien kürzen wir ein Stück, damit ein Abstand entsteht, zu all jenen, die arbeiten gehen. So eine Familie würde jetzt auf ca. 2.200 Euro kommen statt wie bisher 2.600 Euro."

(im Video ab Minute 05:00:)

Wiener Familie als Maß der Dinge

Wie kommt Kurz auf diese Zahlen? Wir haben einerseits im Kanzleramt nachgefragt, andererseits nachgerechnet. Vorausschicken muss man, dass jeder Vergleich von Mindestsicherungsbezügen in Österreich schwierig ist, weil die Länder völlig unterschiedliche Systeme pflegen und sich diese teilweise auch in den Ländern noch einmal nach Regionen unterscheiden.

Aber fangen wir zunächst einmal mit dem Arbeitnehmer an. Es geht also um eine Familie mit einem arbeitenden Partner, einem, der zuhause bleibt, und drei Kindern - so hat das der Kanzler in der Zib2 gesagt. Zusätzliche Details, die für die Zahlen relevant sind, haben wir beim Kanzleramt erfragt: Die Kinder in dem Beispiel leben in Wien und sind 4, 7 und 10 Jahre alt. Das ist zum Beispiel insofern relevant, als damit der zu Hause lebende Partner z. B. kein Kinderbetreuungsgeld mehr beziehen kann.

Der "arbeitende" Haushalt

Der "arbeitende" Haushalt bekommt also monatlich netto:

  • 1.600 Euro Gehalt
  • 273,38 Euro - das ist ein Zwölftel des (günstiger besteuerten) Urlaubs- und Weihnachtsgeldes
  • 437,5 Euro Familienbeihilfe (158,9 Euro für den Zehnjährigen, jeweils 139,3 für die jüngeren Geschwister)
  • 175,2 Euro Kinderabsetzbetrag, der - 58,4 Euro pro Kind - mit der Familienbeihilfe überwiesen wird
  • 20 Euro Mehrkindzuschlag für das dritte Kind

Das macht in Summe 2.506,08 Euro, die diese Familie bekommt: 1.873,38 aus der Arbeit des einen Partners plus 632,7 Euro an Familienleistungen.

Der "mindestgesicherte" Haushalt

Kommen wir zum dem "mindestgesicherten Haushalt", in dem niemand arbeitet:

  • Die Familienleistungen (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, Mehrkindzuschlag) sind mit 632,7 Euro dieselben wie bei der arbeitenden Familie.
  • Für die beiden Erwachsenen zahlt Wien derzeit 1.294,56 Euro an Mindestsicherung aus, 150 % des Basisbetrages von 863,04 Euro.
  • Jedes Kind bekommt in Wien 233,02 Euro an Mindestsicherung; macht für die drei in Summe 699,06 Euro.
  • Dazu kommt noch eine mögliche Mietbeihilfe von 34,62 Euro

In Summe bekommt die mindestgesicherte Familie also 2.660,94 Euro. Davon sind 632,7 Familienleistungen, die jedem zustehen und 2.028,24 Euro.

Ein passendes Beispiel

Was dabei auffällt:

Erstens hat Kurz natürlich ein Beispiel ausgewählt, das seine Position besonders deutlich illustriert. Wien zählt neben Vorarlberg und den Städten Innsbruck und Salzburg zu jenen Regionen, in denen die Beispielfamilie besonders viel bekommt, wie dieser Vergleich der Regierung zeigt - im Burgenland bekommt dieselbe Familie schon jetzt knapp über 2.000 Euro.

Zweitens lässt Kurz in dem Interview die Tatsache unter den Tisch fallen, dass die "arbeitende" Familie "aufstocken" kann: Wer netto weniger als die ihm zustehende Mindestsicherung verdient, bekommt den Differenzbetrag ausgezahlt. Heißt: Auch die "arbeitende" Familie bekommt tatsächlich das gleiche wie die "mindestgesicherte" Familie - und sammelt darüber hinaus auch noch Pensionsversicherungszeiten.

Maximalbetrag wird sogar noch steigen

Und drittens lässt Kurz in seiner weiteren Erörterung, dass das mit dem neuen System angepasst wird, außer Acht, dass der Maximalbetrag, den Wien dieser Familie künftig zahlen kann, nicht, wie er sagt, zurückgehen wird - er wird sogar noch steigen.

Denn die ca. "2.200 Euro", von denen er verspricht, dass die "mindestgesicherte" Familie sie in Zukunft erhalten werde, sind nur der Grundbetrag, der ihr künftig zustehen soll, wie aus dieser Grafik, ebenfalls aus der Regierungsunterlage zur Reform, hervorgeht:

Kurz hat für die 2.200 Euro alle Blöcke außer des orangen addiert, das kommt auf 2.229 Euro. Was er nicht erwähnt: Die Länder können beschließen, auf den Basisbetrag der Mindestsicherung (hier blau, gelb und rot gefärbt) noch einmal bis zu 30 Prozent aufzuschlagen, wenn - zum Beispiel hoher Wohnkosten wegen - ein besonderer Bedarf gegeben ist. Ob sie das tun, und wie - ob sie diese 30 Prozent in bar auszahlen etwa -, können die Länder selbst entscheiden.

Nutzt Wien seinen Rahmen also voll aus, inklusive dieser 30 Prozent, kann die Beispielfamilie in Zukunft sogar mehr als bisher bekommen: Statt den bisherigen 2.660,94 Euro liegt das Maximum für diese Familie zukünftig nämlich bei 2.708 Euro - also ganz genau bei dem Betrag, den Kurz der fleißigen, arbeitenden Familie dank des Familienbonus in Aussicht stellt.