"Wir versuchen gerade, Dublin schlafen zu legen und eine Decke darüber auszubreiten.“ Vizepräsident Margaritis Schinas war lange Zeit Chefsprecher der EU-Kommission und ist selten um blumige Worte verlegen. Schinas und seine Kollegin für Inneres, Ylva Johansson, stellten die Vorschläge für eine Asylreform vor. Das Wort des Tages war „Solidarität“, auch Präsidentin Ursula von der Leyen strapazierte es vorab: „Es geht nicht um die Frage, ob Mitgliedsstaaten mit Solidarität und Beiträgen unterstützen, sondern wie sie unterstützen.“

Dublin III, die derzeitig gültige und als gescheitert zu betrachtende Asylregelung, schimmert nur noch durch, der Rest besteht aus einem komplexen System, das seine Realitätstauglichkeit erst unter Beweis zu stellen hat. Es basiert auf drei Säulen: Partnerschaft mit Dritt- und Transitländern, Kontrollen und Schutz an den Außengrenzen und strenge Regeln innerhalb der EU für eine verpflichtende Solidarität. In Zukunft sollen alle Neuankömmlinge zwingend an der EU-Außengrenze einem Screening unterzogen werden; Fingerabdrücke, Gesundheitszustand, Identität.

Das Ganze soll innerhalb von fünf Tagen abgewickelt sein. Stellt sich dort schon heraus, dass jemand keine ausreichenden Asylgründe hat, kommt er automatisch in ein „Schnellverfahren“ und soll in kürzester Zeit (die Rede ist von maximal zwölf Wochen) auf dem Rückweg sein. Gelingt das in dieser Zeit nicht, wäre ein normales Asylverfahren die Folge. Die Hoffnung liegt darin, dass damit der Anreiz, sich mithilfe übler Schlepperbanden an EU-Grenzen bringen zu lassen, stark abnimmt. Allerdings hat die Kommission klar festgehalten, dass Seenotrettung eine Pflicht sei.

Wer Hilfe braucht, soll sie bekommen

Wer hingegen Hilfe braucht, soll sie auch bekommen, so Schinas. Und dafür wird ein neues System implementiert: das Rückkehr-Sponsorship. Vereinfacht gesagt sollen sich die Mitgliedsländer aussuchen können, ob sie Migranten bei sich aufnehmen oder stattdessen für andere Notwendigkeiten aufkommen wollen, etwa die Rückführung oder die Entsendung bzw. Finanzierung von Frontex-Leuten. Hier könnte einer der Fallstricke des Plans verborgen sein: Übernimmt ein Land die Verpflichtung zur Rückführung, hat es acht Monate Zeit dafür – gelingt das in dieser Zeit nicht, muss es den Betreffenden bei sich unterbringen. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), der die Initiative grundsätzlich begrüßt und nun alle Rechtstexte überprüfen will, warnt vor einer „Verteilung durch die Hintertür“.

Laut Kommission soll von Beginn an jeweils ein bestimmtes Land für das Asylverfahren zuständig sein, damit will man die Sekundärmigration in den Griff bekommen. Verteilungsquoten soll es definitiv nicht mehr geben, doch könnten einzelne Länder einen Krisenmodus auslösen, der dann größeren Druck erzeugt. Deals wie mit der Türkei, Jordanien oder dem Libanon will man weiter pflegen.

Die Reaktionen fielen geteilt aus. Mit Abschreckung und Abschiebung allein könne man die Frage nicht lösen, so der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), der allerdings so wie sein Parteikollege Lukas Mandl eine Diskussionsgrundlage erkennt. „Ob rechtsstaatliche Asylverfahren in Großlagern an den EU-Außengrenzen überhaupt möglich sind, ist fraglich“, sagt Monika Vana (Grüne). Ein Solidaritätsmechanismus, der „den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit gibt, die Aufnahme zu vermeiden, indem die Rückkehr von Migranten erleichtert wird“, sei „inakzeptabel“, so die Caritas-Europa-Chefin, Maria Nyman.

Kein zweites Lager Moria

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bemühte sich, die Zahlen ins rechte Licht zu rücken: „Europa hat jährlich eine Zuwanderung von 2,4 Millionen Menschen, die legal zu uns kommen; eine Million verlässt uns auch wieder in andere Länder. Worum es hier geht, sind die irregulären Migranten, das waren 140.000 im letzten Jahr und davon hat nur ein Drittel Anspruch auf Asyl.“ Das Verhältnis müsse sich weiter ändern: „Wir brauchen mehr reguläre und weniger irreguläre.“

Mehrfach hieß es, so etwas wie das Lager Moria dürfe es nicht mehr geben – allerdings bedeutet die Abwicklung an den Außengrenzen, dass dort auch Unterkünfte vorhanden sein müssen. Auf Lesbos ist nun ein Pilotprojekt geplant, zuständig ist nicht Griechenland, sondern eine EU-Taskforce.