Zumindest in einem Punkt hat der Brexit sein Gutes: Die EU-27 ist näher zusammengerückt und in der Frage aller Fragen weitgehend einig.

Die irrwitzigen Wendungen beim Versuch Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen, haben dennoch zu allgemeiner Ermüdung geführt. Niemand will nach drei Jahren Dahinwurstelns noch etwas davon hören, alle wären froh, wenn die Sache, so oder so, endlich vom Tisch wäre. Umso euphorischer die Stimmung, als London und Brüssel vor wenigen Tagen ihren neuen Deal präsentierten – und umso lauter der Aufschrei, als in der Nacht auf gestern klar wurde, dass es ohne eine weitere Verschiebung des Austrittsdatums wohl doch nicht gehen wird. Der Grund dafür ist aber, im Gegensatz zu früheren Irrungen und Wirrungen, diesmal nachvollziehbar. Das britische Parlament hat offensichtlich doch noch festgestellt, dass es gerade dabei ist, die wichtigste Entscheidung in Jahrzehnten zu treffen. Das ist nichts, was man schnell einmal zwischen zwei Tassen Tee erledigt. Der Gesetzestext, um den es zuletzt ging, will durchgeackert und verstanden werden, die ominöse Lösung mit Warenkontrollen in der Irischen See muss auf Umsetzbarkeit geprüft werden.

Ein wenig erinnert das an das Andockmanöver an eine Raumstation: entscheidend sind die letzten Minuten und Sekunden, da braucht es Besonnenheit und Ruhe beim Ansteuern.

Das sieht auch die EU so. Das Parlament hat gleichfalls die Ratifizierung vertagt, um die Reihenfolge (erst Großbritannien, dann die EU) einzuhalten und begrüßt die nunmehr dritte Verschiebung, wenn sie einer Lösung dienlich ist. Die Staats- und Regierungschefs haben offensichtlich schon beim Gipfel vergangene Woche ein Prozedere vereinbart: Wenn alles klar ist, brauchen sie sich zur Genehmigung nicht einmal mehr zu treffen, es reicht die Übermittlung eines Schriftstücks.

Ein Sondergipfel ist dennoch in der kommenden Woche noch möglich. Dann nämlich, wenn es keine Einigung über die mögliche Länge einer Verzögerung gibt. Basis sind drei Monate, bis 31. Jänner. Frankreich etwa hält eine kürzere Frist für sinnvoll, Deutschland will noch mehr Details darüber, was in der Verlängerungszeit geschehen soll. Möglich wäre sogar eine flexible Variante – sobald alle Hausaufgaben erledigt sind, kann das Vereinigte Königreich jederzeit aussteigen.

Deal, Neuwahlen, vielleicht doch noch gekoppelt mit einem Referendum – all das kann zur Deeskalation beitragen, zur Entschleunigung und nüchterner Betrachtung. Bei der EU arbeitet man gezielt daran, das zeigt allein schon der zurückhaltende Umgang mit den drei Briefen vom Wochenende, in denen halbherzig um Fristverlängerung gebeten wurde. Ratspräsident Donald Tusk ließ sich zu einer kurzen, unaufgeregten Twitter-Bestätigung hinreißen, viel mehr kam nicht. Auch das Parlament verhält sich betont gelassen. Jetzt muss das nur noch bei Boris Johnson ankommen.