Zum Abschluss des konservativen Parteitags am Mittwoch hat der britische Premier Boris Johnson seine Partei aufgefordert, sich für einen Austritt aus der EU ohne Vertrag am 31. Oktober bereitzuhalten – falls die EU nicht auf seine Vorstellungen von einem Brexit-Deal eingehen will.

Niemand dürfe im Zweifel darüber sein, dass das Vereinigte Königreich zu Monatsende notfalls ungeordnet ausscheide. „Ich hoffe sehr, dass unsere Freunde das begreifen und kompromissbereit sind.“ Zugleich beteuerte Johnson, dass er sich als Europäer fühle und Europa liebe – was im Saal kurz zu betretenem Schweigen führte. Er strebe, so Johnson, „eine neue, positive Partnerschaft mit der EU“ an. Daher lege seine Regierung in Brüssel „konstruktive, vernünftige Vorschläge“ vor. Johnsons Pläne, die die Regierung tags zuvor als „letztgültiges Angebot“ an Brüssel bezeichnet hatte, wurden am Mittwoch der EU überreicht. Kernpunkt ist, dass sowohl Nordirland als auch das restliche Königreich aus der Zollunion der EU ausscheiden.

Kontrolle behalten

„So werden wir von Anfang an die Kontrolle über unsere Handelspolitik haben und die Einheit unserer Union wahren“, sagte Johnson. Zollkontrollen „an der oder nahe der nordirischen Grenze“ solle es aber „unter keinen Umständen“ geben. Es gebe „diskretere“ Mittel der Grenzüberwachung. „Bestehende Arrangements für Bauern und Betriebe beidseits der Grenze“ will Johnson fürs Erste beibehalten. Nordirland soll weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts folgen – jedenfalls für das Übergangsjahr 2020 und die darauffolgenden vier Jahre. Gedacht ist daran, dass Nordirlands konfessionsübergreifende Selbstverwaltung, die Stormont-Regierung, alle vier Jahre darüber entscheidet, ob Nordirland sich den Regeln der EU oder jenen Großbritanniens unterwirft. Ein Problem dabei ist allerdings, dass die Selbstverwaltung seit fast drei Jahren nicht mehr existiert, weil sich Unionisten und Nationalisten in der Provinz auf nichts einigen können.

Nordirlands Unionisten, die die Tory-Minderheitsregierung in London unterstützen, haben diese Lösung offenbar akzeptiert, obwohl sie zu Kontrollen in der Irischen See führen würde, mit denen einige Jahre lang die Binnenmarktsverträglichkeit von Transporten aller Art geprüft werden müsste.

Plötzlich zwei Grenzen?

Kritiker der britischen Regierung finden es erstaunlich, dass es nun zwei Grenzen geben soll, nachdem es bisher keine gab – nämlich eine neue permanente innerirische Zollgrenze und eine neue provisorische innerbritische Grenze für Binnenmarktsregeln längs der Irischen See. Sprecher der katholischen Hälfte der Bevölkerung Nordirlands, die bei der Erstellung der Vorschläge ignoriert wurde, klagten, London wolle den Unionisten ein Veto über jede weitere Entwicklung „zuschanzen“. In Dublin kam es zu Protesten gegen Johnsons Plan. Die zeitliche Begrenzung der Binnenmarktsregelung und Zollgrenzen quer durch Irland seien „inakzeptabel“, so die irische Regierung. Der frühere britische Nordirland-Minister Lord Peter Hain sagte, Johnson verübe „Sabotage“ am Belfaster Friedensabkommen von 1998. Andere Gegner erwägen, zu Gericht zu ziehen. Die Einrichtung von Grenzkontrollen in Irland, argumentieren sie, verstoße gegen das unter Theresa May beschlossene Austrittsgesetz, den Withdrawal Act, vom Vorjahr. Das Gesetz verbietet nach dem Brexit an der irisch-nordirischen Grenze die Einrichtung von Grenzposten und Kontrollen, die davor nicht existierten.

Vorsichtiger Optimismus aus Brüssel

Die Antwort aus Brüssel kam prompt und war zumindest im Tonfall optimistisch. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte nach einem Telefonat mit Johnson, er sehe „positive Fortschritte“ und man werde den Vorschlag umgehend auf die Möglichkeiten einer rechtlichen Verbindlichkeit prüfen. Allerdings wies Juncker darauf hin, dass es eine Reihe „problematischer Punkte“ gebe, die noch viel Arbeit erfordern würden. In Brüssel soll es deshalb in den kommenden Tagen weitere Treffen der Verhandlungsteams geben. Die EU arbeite rund um die Uhr an einer Lösung und bleibe bei ihrem Ziel: „Wir wollen einen Deal.“