Die Ergebnisse des EU-Gipfels am Donnerstag zum Brexit sind in Großbritannien auf ein negatives Echo gestoßen. "Es sieht so aus, als hätte die Premierministerin darin versagt, bedeutungsvolle Veränderungen zu ihrem Brexit-Deal zu liefern", twitterte der Brexit-Sprecher der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer. Er forderte noch vor Weihnachten eine Abstimmung zu dem Abkommen.

Die britische Premierministerin Theresa May setzt trotz der Ablehnung von Nachverhandlungen über den Austrittsdeal auf weitere Gespräche mit der EU. Nach dem EU-Gipfel Freitag in Brüssel verteidigte May neuerlich das Abkommen und betonte, es werde die Abstimmung darüber im britischen Parlament vor dem 21. Jänner geben. Sie habe auch heute mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker über weitere Zusicherungen gesprochen, berichtete May. Zugleich lobte May den österreichischen Ratsvorsitz. Sebastian Kurz sei "sehr hilfreich" mit seinem positiven Ansatz in den Verhandlungen gewesen, sagte May nach dem EU-Gipfel am Freitag in Brüssel.

Kurz wolle, dass es für beide Seiten einen guten Deal gebe. Österreich habe "eine sehr gute Präsidentschaft" hingelegt, sagte May. 

Vize-Regierungschef David Lidington räumte ein, dass die EU-Zusicherungen der Regierung in London nicht reichten. May werde in den nächsten Tagen und Wochen weitere Gespräche mit den EU-Partnern führen, sagte er der BBC.

Auch in der Presse wurde der Versuch Mays, Zugeständnisse in Brüssel zu erreichen, als Rückschlag gedeutet. Die Londoner "Times" befand, die EU habe May "gedemütigt". Dem "Guardian" zufolge war die Reaktion aus Brüssel auf die Bitte der Premierministerin ein "vernichtender Schlag" für ihre Hoffnungen, den Deal zu retten.

Die EU hat Großbritannien neue Zusicherungen gegeben, um die Brexit-Blockade im Londoner Parlament zu lockern. Die EU wird nach Angaben von Bundeskanzler Sebastian Kurz das Austrittsabkommen aber nicht neu aufschnüren. Man werde Großbritannien aber versichern, dass die Backstop-Lösung für Irland nur vorübergehend und nicht dauerhaft sein soll, sagt er nach den Beratungen der 27 EU-Regierungschefs.

"Nebulös und unpräzise"

Zugleich hat May hat mit ihrem Auftritt bei den Brexit-Beratungen für Kritik im Kreis ihrer Kollegen gesorgt. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel beklagte nach Abschluss der Beratungen am Donnerstagabend, May habe ihre Erwartungen an die EU nicht konkret genug formuliert. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die britische Regierung auf, in den kommenden Wochen zu klären, was genau sie von Brüssel erwarte. "Unsere britischen Freunde müssen uns sagen, was sie wollen, anstatt uns zu fragen, was wir wollen", sagte er. "Ich brauche Klarstellungen." Die Diskussion sei "mitunter nebulös und unpräzise". Es gehe nicht an, dass Großbritannien erwarte, dass die EU "die Lösungen liefert".

In einer Erklärung beim Brüsseler Gipfel beteuerten die 27 bleibenden EU-Länder am späten Donnerstagabend, dass die Anwendung der Sonderregeln für eine offene Grenze in Irland wenn irgend möglich vermieden werden sollen. Sollte der sogenannte Backstop dennoch gebraucht werden, "würde er nur befristet angewandt, bis er durch eine Folgelösung ersetzt würde, die sicherstellt, dass eine harte Grenze vermieden wird", heißt es in dem Beschluss. In diesem Fall würde die EU alle Kräfte einsetzen, um ein Folgeabkommen schnell zu verhandeln und abzuschließen. Dasselbe würde man von Großbritannien erwarten, "so dass der Backstop nur so lange wie irgend nötig in Kraft wäre."

Backstop keine Dauerlösung

Damit versucht die EU britische Sorgen zu entkräften, dass der Backstop zur Dauerlösung würde. Strikte Brexit-Befürworter fürchten, dass Großbritannien damit auf Dauer eng an die EU gebunden bliebe und keine eigenen Handelsverträge abschließen könnte. Unter anderem deshalb zeichnet sich im britischen Unterhaus keine Mehrheit für das Austrittsabkommen ab. Großbritannien will die EU am 29. März 2019 verlassen. Der Backstop soll garantieren, dass es nach dem Brexit keine Kontrollen oder Schlagbäume zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland gibt. Gleichzeitig müsste das Vereinigte Königreich bis auf weiteres in einer Zollunion bleiben.

Unklare Aussagen

Kritik kam zudem an Theresa Mays unklaren Aussagen. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel beklagte nach Abschluss der Beratungen am Donnerstagabend, May habe ihre Erwartungen an die EU nicht konkret genug formuliert. "Wir müssen auch mal wissen, was genau London will", sagte Bettel. "Wir sind heute nicht viel weitergekommen." Bettel warnte die britische Premierministerin davor, die Geduld der EU-Partner durch eine Hinhaltetaktik überzustrapazieren. "Wir werden nicht Gipfel auf Gipfel auf Gipfel machen", sagte er. "Wir müssen jetzt wissen, was London will, und dann werden wir entscheiden."

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die britische Regierung auf, in den kommenden Wochen zu klären, was genau sie von Brüssel erwarte. "Unsere britischen Freunde müssen uns sagen, was sie wollen, anstatt uns zu fragen, was wir wollen", sagte er. "Ich brauche Klarstellungen." Die Diskussion sei "mitunter nebulös und unpräzise". Es gehe nicht an, dass Großbritannien erwarte, dass die EU "die Lösungen liefert". Juncker kündigte außerdem an, dass die EU-Kommission am kommenden Mittwoch die Vorbereitungen für ein No-Deal-Szenario präsentieren werde.

Stimmung "sehr schlecht"

Noch deutlicher wurde die Kritik in EU-Kreisen formuliert. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe die Premierministerin während des Vortrags mehrfach unterbrochen und zur Präzisierung ihrer Haltung aufgefordert, hieß es. Die Stimmung sei "sehr schlecht" gewesen. Die EU-Chefs hätten der Premierministerin einige Wochen Zeit gegeben, um darzulegen, "was die Briten wollen".

EU-Ratspräsident Donald Tusk betonte, dass das Brexit-Abkommen "nicht neu verhandelt werden kann". Der Europäische Rat bereite sich unmittelbar nach Unterzeichnung des Austrittsabkommens darauf vor, so rasch wie möglich über die künftigen Beziehungen mit den Briten die Verhandlungen zu beginnen. Ferner sei der Backstop als "Versicherung" gedacht, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden. Die EU sei fest entschossen, rasch an einem Folgeabkommen zu arbeiten, das bis 31. Dezember 2020 alle Vorkehrungen festlegt, damit der Backstop als Notfalllösung nicht ausgelöst werden muss".

Gipfel verlassen

Zuvor hatte die britische Premierministerin den Gipfel wortlos verlassen. May hatte ihren Amtskollegen nach Angaben von EU-Diplomaten am Donnerstag in Brüssel einen neuen Vorschlag unterbreitet. May brachte demnach die Idee ins Gespräch, einen konkreten Termin für den Abschluss des angestrebten Freihandelsabkommens festzulegen. Dieses solle bis Dezember 2021 zwischen beiden Seiten geschlossen werden, hieß es. Ziel wäre es zu verhindern, dass sonst die in Großbritannien kritisierte Auffanglösung für Nordirland greift. Aus EU-Kreisen hieß es am Abend, der Vorschlag werde in Betracht gezogen. Allerdings sei das von May genannte Datum Ende 2021 nicht festgezurrt.

Datum abgelehnt

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte ein Datum ab. Ziel sei es, das Freihandelsabkommen in der geplanten Übergangsphase auszuhandeln, sagte sie. Diese geht laut Austrittsvertrag bis Ende 2020, könnte aber um bis zu zwei Jahre bis Ende 2022 verlängert werden. Ob es das Freihandelsabkommen gebe, hänge "immer von zwei Seiten ab", sagte Merkel. "Da können wir keinen anderen Termin nennen." Und die Auffanglösung sei "ja gerade die Rückversicherung", die greifen würde, falls es in der vorgegebenen Zeit nicht zu einer Einigung komme. Merkel unterstrich den Willen zu einer Einigung mit Großbritannien. "Wir wollen eine sehr nahe Partnerschaft mit Großbritannien, weil wir uns Großbritannien freundschaftlich verbunden fühlen", sagte sie nach dem ersten Gipfeltag.

Darüber hinaus berieten die Staats- und Regierungschefs erstmals über das EU-Gemeinschaftsbudget für das kommende Jahrzehnt. Eine Einigung wird aber laut Gipfelbeschluss frühestens für Herbst 2019 ins Auge gefasst - obwohl EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger auf Mai gehofft hatte. Empfänger von EU-Hilfen wie Bauern oder Bürgermeister müssen also abwarten, wie es mit den Geldern aus Brüssel weiter geht.