Giorgia Meloni hat es eilig. Anfang Juni finden die EU-Wahlen statt. Bis dahin will die italienische Ministerpräsidentin eine wichtige Botschaft an die Wählerinnen und Wähler gesendet haben. Sie lautet: Wir halten euch die Migranten vom Leib. Zu diesem Zweck haben die Regierungen Italiens und Albaniens bereits im November ein Protokoll unterschrieben. Demnach darf Italien im Mittelmeer aufgelesene Flüchtlinge nach Albanien bringen und dort in drei Lagern festhalten. Wer Anspruch auf Asyl hat, kommt dann nach Italien. Die anderen werden abgeschoben.

Die rechtskonservative Regierung Meloni will die albanischen Flüchtlingszentren bis 20. Mai eröffnet haben. Bis morgen, Gründonnerstag, läuft die Frist für Unternehmen, die die Dienstleistungen in den von italienischen Beamten auf albanischem Boden geführten Zentren übernehmen wollen. Knapp 34 Millionen Euro veranschlagt das italienische Innenministerium dafür. Das Abkommen mit Albanien wurde zunächst über fünf Jahre abgeschlossen. Die Gesamtkosten für diesen Zeitraum liegen bei 650 Millionen Euro.

Die Eile im Kontrast zur Wirklichkeit

Die Eile steht derzeit im Kontrast zur Wirklichkeit, denn die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien gekommenen Flüchtlinge ist rückläufig. Seit Jahresbeginn erreichten 8629 Menschen die italienische Küste, das sind etwa halb so viele wie im selben Zeitraum des Vorjahres. Doch Meloni hat versprochen, die Flüchtlingsfrage zu lösen.

Dazu initiierte die italienische Regierungschefin den im Juli zwischen der EU und Tunesien unterschriebenen Deal mit. Tunesien verpflichtet sich, Migranten von der Überfahrt nach Italien abzuhalten und bekommt dafür 105 Millionen Euro zur Verbesserung seiner Grenzkontrollen. Die von Italien geführten albanischen Zentren sollen jährlich 30.000 Migranten durchlaufen. Das wären zwar im Vergleich zur Gesamtmenge der 2023 in Italien angekommenen Flüchtlinge (157.651) nur etwa 20 Prozent. Doch je weniger, desto besser, lautet Melonis Kalkül. Die Ministerpräsidentin will zeigen, dass sie Probleme pragmatisch lösen kann.

Kein Problem aus Sicht der EU-Kommission

Aus Sicht der EU-Kommission spricht nichts gegen die Zentren in Albanien. EU-Innenkommissarin Ylva Johannson sagte im November, das Abkommen zwischen Italien und Albanien verletzte kein EU-Recht, „weil es außerhalb dieses Rechts“ liege. Juristen und Menschenrechtsorganisationen haben allerdings Zweifel an der Legitimität des Vorgehens. So sollen die im Mittelmeer aufgelesenen Migranten auf hoher See sortiert werden. Nur erwachsene Männer sollen in das Auffangzentrum im albanischen Hafen Shëngjin gebracht werden können. Frauen, besonders schutzbedürftige Personen und Minderjährige kommen nach Italien.

Die Frage ist auch, ob Italien damit dem Grundsatz zuwiderhandelt, dass Menschen in Seenot in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden müssen. Aus dem zentralen Mittelmeer bis Shëngjin, das nördlich der albanischen Hauptstadt Tirana liegt, sind es zwei Tage Fahrt. Nur von der italienischen Marine oder der Finanzpolizei aufgegriffene Migranten sollen nach Albanien verschifft werden, die Schiffe von Hilfsorganisationen sind von der Regelung ausgenommen. Albanien will in den Lagern seine Jurisdiktion an Italien abtreten. Rein italienisches Personal und italienische Asylkommissionen sollen nach italienischem und europäischem Recht über die Migranten entscheiden.

Zu diesem Zweck werden derzeit drei Zentren in Albanien aufgebaut. In Shëngjin soll die Identität der Flüchtlinge festgestellt, ihre Asylanträge aufgenommen sowie ihr Gesundheitszustand untersucht werden. Im etwas nördlicher gelegenen Gjadër warten die Migranten dann in einem zweiten Lager auf das Ergebnis ihrer Asylanträge. In Gjadër liegt auch die dritte Struktur, von der abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer abgeschoben werden sollen. Die Migranten dürfen die Lager nicht verlassen. Für insgesamt 3000 Menschen pro Monat ist in den drei Zentren Platz. Die Menschen sollen nicht mehr als 28 Tage in Albanien festgehalten werden. Das sehen die von der italienischen Regierung im Mai nach dem Schiffsunglück bei Cutro beschlossenen „Schnellverfahren“ vor. In Cutro waren Wochen zuvor mindestens 180 Migranten ertrunken.

Eine Rolle Klopapier pro Woche

Auch logistisch ist der Aufwand groß. Aus Italien sollen Sicherheitspersonal, Ärzte, Übersetzer, die Mitglieder der über die Asylanträge entscheidenden Kommissionen, Rechtsanwälte sowie Mitglieder von Hilfsorganisationen nach Albanien entsendet werden. Im Zuge der Ausschreibung für die Dienstleistungen in den Zentren wurden nun auch einige Details über die Versorgung der Migranten bekannt. So bekommt jeder Ankömmling eine Hose, ein Unterhemd, ein T-Shirt, einen Schlafanzug, drei Unterhosen und drei Paar Socken zur Verfügung gestellt. Pro Migrant gibt es eine Rolle Klopapier pro Woche, eine Zahnbürste pro Monat, Zahnpasta, Shampoo, Seife und einen Kamm.