Die Identität Österreichs sei mehr als gesetzliche Grenzen. Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) feilt an einem „Grundkonsens des Zusammenlebens“, an dem sich Zugewanderte künftig orientieren sollen. Bereits im Jänner hatte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei einer Rede eine Art „Hausordnung“ für das Leben in Österreich ins Spiel gebracht. „Leitkultur“ nannte das der Kanzler, bis 2030 soll eine solche auch gesetzlich verankert werden. Zur konkreten Umsetzung sind allerdings noch viele Fragen offen.

Manche davon versuchte Raab wohl am Donnerstag im Zuge eines Expertentreffens zu klären. Werte wie der Rechtsstaat, die Demokratie, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie die Pressefreiheit seien etwa für jene, die nach Österreich einwandern, nicht immer selbstverständlich, sagte die Ministerin im Vorfeld und sprach bestehende „Wertekurse“ für Asylwerberinnen und -werber an. „Für die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund ist es kein Widerspruch, österreichische Werte zu leben, ohne die eigenen Wurzeln zu verleugnen“, sagte Raab. Doch gebe es etwa auch Berichte von Männern, die sich nicht von Ärztinnen behandeln lassen wollen oder vom Burschen, die Frauen als Lehrerinnen nicht respektieren. Teil der Expertenrunde waren unter anderem der Sozialrechtsexperte Wolfgang Mazal, der Soziologe Kenan Güngör, Integrationsexpertin Emina Saric und Hans Winkler, ehemaliger Leiter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung.

ÖVP definiert auf Twitter, wer „gehen muss“

Laut Nehammers Rede zum „Österreich-Plan“ der Volkspartei stehe der Begriff „Leitkultur“ für „eine Gesellschaft der Vielfalt, des Miteinanders, der Toleranz, des Respekts, des Einander-Zuhörens und der demokratischen Grundwerte in unserer Verfassung“. Im rund 80-seitigen Dokument ist im entsprechenden Kapitel unter anderem von der österreichischen Fest- und Feiertagskultur die Rede.

Im vorigen Sommer hatte sich die auch von der Volkspartei befeuerte Debatte rund um den Begriff „normal“ noch ums Schnitzelessen und Autofahren gedreht. In der Diskussion um eine österreichische „Leitkultur“ scheinen Raab und Nehammer nun um eine breitere, weniger polemische Definition darüber bemüht, was das Leben in Österreich ausmacht. Gleichzeitig schlägt die ÖVP aber in einer Social-Media-Kampagne schärfere Töne an: „Wer unsere Art zu leben ablehnt, muss gehen!“, konstatiert die Partei etwa auf X (Twitter). „Wer glaubt, einer Frau nicht die Hand zu geben, weil sie ‚unrein‘ ist, muss gehen“, heißt es in einem weiteren Posting.