Beim EU-Gipfel diese Woche wird einmal mehr das Thema Migration auf der Tagesordnung stehen, dafür macht sich unter anderem Österreich stark. Die Steilvorlage dafür lieferte der Besuch von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und mehrerer Regierungschefs – darunter auch Kanzler Karl Nehammer – in Ägypten, wo ein milliardenschweres Abkommen eingefädelt wurde.

Als „Migrationsdeal“, wie die Absichtserklärung schnell bezeichnet wurde, will Experte Gerald Knaus die Übereinkunft aber nicht sehen, wie er im Gespräch mit der Kleinen Zeitung ausführt. Knaus gilt als einer der Väter des Türkei-Abkommens und erkennt nun aber keinerlei Parallelen: „Ich sehe überall das Wort Migrationsabkommen, aber im Fall der Türkei reden wir von sechs Milliarden Euro für Flüchtlinge in der Türkei, also etwa drei Millionen Syrer. Bei Ägypten geht es eigentlich in erster Linie um die Budgetunterstützung des Landes.“

Ägypten zahlungsfähig erhalten

Das alles sei Teil einer internationalen Politikstrategie, die in den letzten Wochen Kontur angenommen habe: „Es geht darum, Ägypten zahlungsfähig zu halten. Aus den Vereinigten Arabischen Emiraten sind in kurzer Zeit 35 Milliarden Dollar investiert worden, der Internationale Währungsfonds hat sein Volumen von drei auf acht Milliarden erhöht. Es gibt Sorge in Washington und den Nachbarstaaten um den Zustand der ägyptischen Wirtschaft.“ Tatsächlich besteht, wie berichtet, das EU-Paket in einer Gesamthöhe von 7,4 Milliarden zum überwiegenden Teil aus Darlehen im in Form einer Makrofinanzhilfe (fünf Milliarden Euro), 1,8 Milliarden werden für Investments zur Verfügung gestellt, 400 Millionen für bilaterale und nur 200 Millionen Euro für migrationsspezifische Projekte.

Das entspräche auch dem derzeitigen Stand des Landes, so Knaus: „Ägypten ist kein wichtiges Herkunftsland oder Transitland für Migration.“ Es gebe viele Gründe, mit Ägypten zu reden und gleichzeitig auch viele Zweifel wegen des autoritären und korrupten Systems. Als Standort für ein mögliches Erstaufnahmezentrum, wie es zuletzt im Migrationspakt der EU-Länder vorgeschlagen wird, sieht er das Land nicht: „Es müsste ein sicherer Drittstaat sein, der auch bereit ist, Nicht-Staatsbürger zurückzunehmen und sichere Asylverfahren durchzuführen, all das ist derzeit nicht der Fall.“ Das sei auch in den bisher bekannten Dokumenten gar nicht angesprochen worden. Grundsätzlich sei es aber sinnvoll, mit den Ländern zu verhandeln, ob sie sichere Drittstaaten sein wollen.

Knaus weist auf eine grundsätzliche Problematik hin: Das „Team Europa“, also die Kommissionspräsidentin und die Gruppe der Regierungschefs, habe kein gemeinsames Mandat zu Verhandlungen: „Sie können Erklärungen abgeben, das ist sehr wichtig. Sie können aber keine rechtsverbindlichen Zusagen machen, das geht nur bilateral mit den Mitgliedsländern.“

Verhandeln über die falschen Abkommen

Generell, meint Knaus, werde über die „falschen Abkommen“ verhandelt. Es sei sinnlos, mit Ägypten über die Grenzen zum Sudan zu verhandeln; es erscheine nicht sinnvoll, dass die EU innerhalb Afrikas versuche, Grenzen zu schließen: „Wir brauchen Maßnahmen, die die Menschen daran hindern, in Boote zu steigen. Die besten Abkommen sind die mit sicheren Drittstaaten, das hat ja jetzt auch die EVP in ihr Wahlprogramm aufgenommen.“ Auch was die Grenze von Ägypten zu Libyen betrifft, sei er skeptisch: „In Libyen arbeiten 150.000 Ägypter, die Grenze kann man nicht einfach schließen.“ Es würden nach wie vor die richtigen Angebote und Abkommen fehlen – aber die Diskussion gehe mittlerweile in die richtige Richtung und es sei somit auch sinnvoll, das bevölkerungsreichste Land Afrikas zu stabilisieren.

Das im vergangenen September besiegelte Abkommen zwischen Italien und Tunesien zur Eingrenzung der illegalen Migration „funktioniert“, sagte gestern die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni; auch diesem Deal ging eine Absichtserklärung mit der EU voraus, die allerdings kurz nach Unterzeichnung von Tunesien wieder infrage gestellt wurde.