Wie beurteilen Sie als Infektionsspezialist das neue Ampelsystem?

BERND LAMPRECHT: Das perfekte System gibt es nicht, es ist eine vernünftige Annäherung, die das widerspiegelt, was wir messen können: Fallzahlen, Cluster, die Zahl der Tests, verfügbare Spitalsbetten für die Versorgung der schwer Erkrankten. Letzteres ist nur ein kleiner Anteil, aber der, der am kritischsten ist.

Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Die Farbe Gelb ist gerade für die Ballungszentren wenig überraschend und auch gerechtfertigt, weil wir hier in der Vergangenheit die höchsten Zuwächse hatten und besonders gefordert sind in der Abklärung, damit nicht wieder was passiert. In anderen Regionen gibt es halt nicht so viel Menschen, die aufeinandertreffen. Im Burgenland und in Vorarlberg oder auch in Kärnten gibt es nicht so viel öffentlichen Verkehr wie in Wien oder Graz. Die Empfehlung, für die großen Städte ein moderates Risiko auszusprechen, ist richtig: Die wenigen Maßnahmen, die damit verbunden sind, sind hier ganz besonders wichtig. Die Gefahr, dass die Zahlen hier explodieren ist größer als in Unterkärnten oder am Neusiedlersee.

Ist die Ampel transparent genug?

Ich finde, ja. Es werden auf der Homepage exakte Zahlen genannt, mit Vergleichszeiträumen, das ist nachvollziehbar. Die Empfehlungen sind transparent, aber man soll sich immer die Chance geben, noch etwa dazu zu lernen.

Geschäfte fürchten um ihren Umsatz, manche wünschen sich eine noch lokalere Eingrenzung der Risikogebiete.

Da bin ich skeptisch, die Farben haben ja eben Konsequenzen, münden in Maßnahmen. Menschen, die dann in verschiedenen Bezirken in Wien etwa wohnen und arbeiten oder in die Schule gehen, müssten sich mehrmals am Tag umstellen. Aber was man natürlich insgesamt empfehlen kann, ist die Anwendung des Hausverstandes: Im ersten Bezirk, wo es am Gehsteig nur so wurlt, werde ich vielleicht eine Maske tragen, obwohl sie nicht vorgeschrieben ist, wenn ich einsam im Park unterwegs bin, natürlich nicht.

Ist es nicht problematisch, dass die Veranstalter nix fix planen können, wenn sich die Ampel wöchentlich ändert?

Ich würde sagen, wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in den nächsten sechs bis acht Monaten noch eine sehr begrenzte Planungssicherheit haben. Wir sehen jetzt Licht am Ende des Tunnels, aber bis es die Impfung gibt, müssen wir in Kauf nehmen, dass sich Dinge kurzfristig ändern und nicht so ablaufen wie geplant. Die Veranstalter müssen Ausfallskonzepte und digitale Alternativen mitbedenken, damit rechnen, dass sie Besucherzahlen reduzieren oder Termine ganz absagen müssen. Wir müssen uns da in Geduld übern. Wir können einfach nicht riskieren, dass zu viele Menschen gleichzeitig schwer erkranken.

Viele reden jetzt schon davon, dass sie sich nicht impfen lassen wollen, weil das eh auch keine Garantie dafür sei, dass man selbst nicht erkrankt oder andere ansteckt. Was antworten Sie denen?

Wenn es einen in Europa zugelassenen Impfstoff gibt, kann man sich darauf verlassen, dass er in Ordnung ist und verlässlich wirkt, wir haben ja keine russischen Verhältnisse. Ich appelliere an die Menschen, sich impfen zu lassen, und ich werde da selbst auch tun. Wobei natürlich immer eine Restunsicherheit bei Impfungen bleibt. Wenn das eigene Immunsystem nicht wie vorgesehen reagiert, ist es nicht der perfekte Schutz. Man geht davon aus, dass ein gesunder Mensch mit der Impfung zu 80 Prozent geschützt ist. Es ist eine Risikominimierung, ein Beitrag dazu, dass gefährdete Personen nicht angesteckt werden, auch nicht von Menschen, die infiziert sind, aber keine Symptome haben.

Kann jemand, der geimpft ist, nicht trotzdem Viren in sich tragen und damit andere anstecken?

Nein, wenn die Impfung wirkt, nicht. Ansteckend ist man ja nicht, wenn man selbst einen Virus aufschnappt, sondern erst, nachdem sich der im Körper millionenfach vermehrt hat und eine hohe Konzentration im Nasen-Rachen-Raum erfolgt. Und das wird eben durch die Impfung verhindert. Es entstehen Antikörper, und man erkrankt dann nicht und ist auch nicht Überträger.