Rund 6,4 Millionen Österreicher entscheiden in vier Wochen, welche Parteien künftig im Nationalrat sitzen. Auch wenn ein politischer Tsunami diese Wahl auslöste, lassen die Umfragen alles andere als ein Erdbeben erwarten.

Schon nach zwei Jahren wieder an die Urnen müssen die Österreicher, weil die 2017 etablierte türkis-blaue Koalition über das Mitte Mai veröffentlichte "Ibiza-Video" stürzte - in dem Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) einer vermeintlichen russischen Oligarchin Staatsaufträge für Unterstützung der FPÖ in Aussicht gestellt hatte.Das "Lockvogel"-Video trug der Republik gröbste Turbulenzen, die um drei Jahre vorgezogene Wahl und ihre erste Beamtenregierung ein. Strache trat zurück, Kurz kündigte die Koalition auf, weil die FPÖ nicht auf ihren Innenminister Herbert Kickl verzichten wollte. Daraufhin unterstützte die FPÖ (wie auch JETZT) einen Misstrauensantrag der SPÖ, erstmals in der Geschichte entzog der Nationalrat einer Regierung das Vertrauen. Für die Zeit bis zur Wahl gelobte Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine aus Experten bestehende Regierung an, geführt von der ersten Bundeskanzlerin Österreichs, Brigitte Bierlein.

All das hielt Österreich zwar über Wochen in Atem, dürfte sich aber vergleichsweise schwach in den Wahlergebnissen niederschlagen. Die ÖVP kann weiter sicher sein, zuzulegen und den den 2017 - mit 31,47 Prozent - eroberten ersten Platz zu verteidigen. Die FPÖ zeigen die Umfragen unverändert im Kopf-an-Kopf-Rennen mit der SPÖ. 2017 waren die Freiheitlichen (25,97 Prozent) den Sozialdemokraten (26,86 Prozent) schon gefährlich nahe gekommen.

Die Grünen können sich mittlerweile des Comebacks im Nationalrat - den sie 2017 mit 3,80 Prozent verlassen mussten - so gut wie sicher sein. Seit Ende Mai liegen sie in den Umfragen schon vor den NEOS - die sich 2017 mit 5,30 Prozent klar im Parlament hielten. Jetzt profitieren die Grünen vor allem vom Thema Klimawandel. Das bescherte ihnen schon bei der EU-Wahl am 26. Mai zu einem überraschend starken Ergebnis - und somit Rückenwind für den 29. September.Die SPÖ fuhr bei der EU-Wahl ihr historisch schlechtestes Bundes-Ergebnis aller Zeiten ein, 23,89 Prozent. Das warf sie auch in den Umfragen zurück. Zuletzt sahen die meisten Meinungsforscher die Roten wieder etwas besser, bei 22 bis 23 Prozent - während sie für die ÖVP eine leicht rückläufige Tendenz bemerkten. Die Kanzler-Partei hatte 2019 beständig zugelegt, mit einem Höhenflug nach "Ibizagate" bis auf 38 Prozent. Mitte August ging es leicht bergab auf 35/36 Prozent.

Die FPÖ wird bei der Wahl zwar unter "Ibiza" leiden - aber bei weitem nicht so sehr wie unter diversen Turbulenzen während Schwarz-Blau von 2000 bis 2006. "Ibizagate" ließ die Blauen in den Umfragen um vier, fünf Punkte auf unter 20 absacken, mittlerweile stehen sie wieder auf 20 Prozent.

FPÖ will Koalition unbedingt fortsetzen

Das würde bequem für die Fortsetzung von Türkis-Blau reichen - die auch das größte Wahlziel des neuen FPÖ-Spitzenkandidaten Norbert Hofer ist. Kurz zeigt sich der FPÖ nach wie vor durchaus geneigt - aber er hat, eines Sinns mit diversen ÖVP-Landesgranden, kundgetan, dass Kickl unter ihm nicht mehr Minister wird. Auch mit Forderungen wie der Auflösung der Identitären-Vereine stellte die ÖVP schon Hürden in den Raum, die weiten Teilen der FPÖ missfallen.

Der jüngste Altkanzler - Kurz wurde schon mit 31 Regierungschef - hat zwar noch andere Optionen. Aber keine davon ist einfach: Will man zu Zweit bleiben, hat - nach derzeitigen Umfragen - nur Türkis-Rot eine Mehrheit. Die Große Koalition war jedoch nicht nur bei den Wählern, sondern auch bei den beiden Langzeit-Partnern zuletzt schon sehr unbeliebt. Kurz kündigte sie auf, sobald er 2017 das Ruder in der ÖVP übernahm. Und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner weicht der Frage nach Türkis-Rot beständig damit aus, dass ihr Wahlziel Platz 1 sei.

Auch andere Partner drängen sich Kurz nicht gerade auf, im Gegenteil: Grünen-Chef Werner Kogler nennt die Chancen für Türkis-Grün "verschwindend gering". Dies nicht so sehr wegen der höchstwahrscheinlich fehlenden Mehrheit, sondern vorwiegend aus inhaltlichen Gründen.

Für Türkis-Grün müssten beide Parteien noch ein Eck besser abschneiden als ihnen die Umfragen verheißen. Ausgehen müsste sich aber eine - in Salzburg gut funktionierende - Dreier-Kombi ÖVP-Grüne-NEOS. Die pinke Frontfrau Beate Meinl-Reisinger zeigt jedoch keine allzu große Lust darauf.

Aber Kurz' Wahlziel, dass es keine Koalition ohne ÖVP gibt, dürfte immerhin in Erfüllung gehen: Rot-Blau - von der ÖVP warnend an die Wand gemalt - ist von einer Mehrheit weit entfernt, und eine Kombination mit Grün oder Pink dazu ist undenkbar.

Wahlkarten werden ab 2. September verschickt

Auf den Stimmzetteln werden am 29. September noch ein paar Parteien mehr stehen: Peter Pilz versucht mit seiner Liste JETZT, im - bei der Premiere 2017 mit 4,41 Prozent eroberten - Nationalrat zu bleiben. Laut den Meinungsforschern darf er sich nicht allzu große Hoffnung darauf machen. Keine großen Chancen geben sie den beiden linken Parteien, die in allen neun Bundesländern kandidieren - der KPÖ und dem "Wandel". In einigen Bundesländern stehen noch weitere Kleinparteien zur Wahl.

Einige Briefwähler werden ihre Stimmzettel bald in Händen halten: Ab 2. September versenden die Gemeinden die Wahlkarten - an die Auslandsösterreicher mit "Abo" und jene Wahlberechtigten, die sie bereits beantragt haben.