Beim neuartigen Coronavirus hat sich ein erster Verdachtsfall in Wien nicht bestätigt, dafür wurde ein zweiter bekannt. "Wir müssen sehr aufmerksam sein", betonte der medizinische Direktor des Wiener KAV, Michael Binder, am Sonntagabend in der ORF-Sendung "Im Zentrum" zur aktuellen Lage. Für die Österreicher bestehe aber kein Grund zur Sorge.

Es handle sich bei dem inzwischen zweiten Verdachtsfall um eine in Wien lebende chinesische Staatsbürgerin, die in China Urlaub gemacht habe. Die Patientin sei nicht lebensbedrohlich erkrankt, berichtete Binder. Die Frau befindet sich in Isolation im Kaiser-Franz-Josef-Spital, die Ergebnisse, ob es sich bei ihr um eine Infektion mit dem Coronavirus handelt, werden für Montag erwartet.

Die Zeichen mehren sich seit kurzem, dass das Virus auch während der Inkubationszeit ansteckend ist, meinte Ursula Wiedermann-Schmidt, die Leiterin der Infektiologie an der MedUni Wien. Die Situation in China sei jedoch nicht mit jener in Europa vergleichbar. "In China kommen Menschenmassen zusammen und der Lebensstil ist anders."

Übertragungsweg

Nach neuesten wissenschaftlichen Daten erfolgte die Übertragung von Fledermäusen auf Schlangen und dann auf den Menschen. Schlangen würden in China gern gegessen, ihr Blut werde direkt getrunken, berichtete Wiedermann-Schmidt. Die genaue Herkunft des Virus sei aber noch unklar. In China müsse nun verhindert werden, dass das Virus weitergetragen wird, um die Infektionskette zu stoppen. In Europa sei es wiederum am wichtigsten, das Virus möglichst schnell zu erkennen, Verdachtsfälle rasch zu identifizieren und dann entsprechend zu reagieren. Dies sei eindeutig das leichtere Unterfangen.

"Die Lage ist angespannt, aber die Stimmung dort ist ruhig", beschrieb der chinesische Botschafter in Österreich, Li Xiaosi, die derzeitige Situation in der Stadt Wuhan und den betroffenen Provinzen. Li stammt selbst aus Wuhan. Im November und Dezember vergangenen Jahres, als er zuletzt seine Familie dort besuchte, seien das Coronavirus und die neue Lungenerkrankung aber noch kein Thema gewesen.

Laut chinesischen Experten befindet sich das Virus gerade in der Anfangsphase, sagte der Botschafter. Viele Notmaßnahmen seien inzwischen in China getroffen worden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Zudem würden zwei neue Krankenhäuser gebaut. Den Informationsfluss der chinesischen Regierung hält Li für transparent - jeden Tag gebe es eine Pressekonferenz pünktlich um 8.00 Uhr, bei der der neueste Status mitgeteilt werde. "Ich glaube, es besteht eine sehr transparente Informationspolitik", so der Botschafter. "Diejenigen, die versuchen, die Wahrheit zu vertuschen oder zu verheimlichen, werden nach dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen."

Auch die gute Zusammenarbeit Chinas mit der Weltgesundheitsorganisation WHO lobte der Botschafter: "Wir bleiben in engem Kontakt mit der WHO. Sie schickt auch Experten nach China, um sich über die Lage zu informieren." Hilfe aus dem Ausland gebe es derzeit in Form von Unterstützung von dort lebenden Chinesen oder Unternehmen, die helfen wollen. Auch würden viele internationale Wissenschafter die chinesischen Kollegen bei ihren Forschungen zu möglichen Impfstoffen und Medikamenten im Land unterstützen.

Li ist überzeugt, dass die chinesische Regierung und die Bevölkerung "eine Menge Erfahrung" mit der Bekämpfung von Seuchen haben. In ganz China würden jetzt Fachärzte und medizinische Mitarbeiterrekrutiert, auch aus umliegenden Provinzen bieten Unterstützung an. 1.600 Mediziner sollen morgen oder übermorgen Wuhan erreichen, auch Militärärzte würden mobilisiert, sagte der Botschafter. Mangelware seien derzeit Schutzanzüge und -masken.

Coronavirus ist dem SARS-Virus sehr ähnlich

Wie gefährlich das neue Virus nun tatsächlich ist, lässt sich laut Wiedermann-Schmidt zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen. Das neue Coronavirus sei dem SARS-Virus sehr ähnlich, die "Verläufe dürften bei diesem aber schwerwiegender sein". Die Verläufe müssten jetzt genau beobachtet werden. Eine spezifische Therapie bzw. Prophylaxe gibt es nicht, behandelt wird symptomatisch. Eine Impfung werde nicht vor 2021 erhältlich sein, meinte die Expertin. "Immer, wenn etwas unbekannt ist, ist die Frage nach einer Impfung sehr groß. Das Neue, Unbekannte, wird auch medial ganz anders dargestellt." Gegen Influenza hingegen ließen sich allerdings nur wenige Menschen in Österreich impfen - was zeige, dass diese Erkrankung nicht richtig eingeschätzt werde.

Verschwörungstheorien

"Die Wiener Spitäler sind gut gerüstet", ist Michael Binder überzeugt. Die Pläne würden sowieso laufen, die auch aufgrund der Influenza wirksam seien. "Wir können der weiteren Entwicklung mit professioneller Gelassenheit entgegenblicken." Entgegen manchen Verschwörungstheorien im Internet seien die österreichischen Behörden absolut glaubwürdig. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zeigte sich einmal mehr zufrieden mit der "sehr gut" funktionierenden Kommunikation und sieht Österreich auch in den entsprechenden internationalen Strukturen "gut eingebettet".

Besteht der Verdacht einer Ansteckung mit dem Coronavirus, sei es sinnvoll, als erstes die Rettung oder auch die "Gesundheitshotline 1450" anzurufen, sagte Binder. Auch könne man sich an alle österreichischen Ärzte und Allgemeinmediziner wenden, am besten zunächst telefonisch, um seinen Fall zu erklären. Wichtig sei zu wissen, ob überhaupt eine Ansteckung möglich sein könnte, also etwa, ob die Person in den letzten 14 Tagen in China war. "In den allermeisten Fällen wird es eine Grippe sein", meinte Binder. "Da empfehlen wir immer noch das Impfen." Klaus Herbich von der Berufsrettung Wien rechnet in der nächsten Zeit jedenfalls mit mehr Anrufen.

Einsatzstab einberufen

Das Innenministerium beruft am Montag einen Einsatzstab ein, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Insgesamt sind daran fünf Ministerien beteiligt. "Das ist eine Gruppe, die in Krisensituationen oder wenn Krisen entstehen könnten, zusammenkommt", sagte Anschober. "Falls es einen Fall gibt, wollen wir in allen Bereichen bestens vorbereitet sein." Zu derartigen Lagebesprechungen komme es relativ häufig. Am Montag sollen daraus auch Handlungsempfehlungen resultieren.

In China selbst sind bisher keine Österreicher von dem Coronavirus "akut betroffen". In der besonders betroffenen Region Hubei leben laut Außenministerium keine Auslandsösterreicher, die Stadt Wuhan sei keine Touristenregion. In Gesamt-China halten sich derzeit rund 3.000 Österreicher auf - sowohl Auslandsösterreicher als auch Touristen.