Zur Klärung der Umstände vor der Bluttat am Brunnenmarkt - ein verwahrloster, obdachloser 21-Jähriger hatte in der Nacht auf den vergangenen Mittwoch eine 54 Jahre alte Passantin mit einer Eisenstange erschlagen - richtet Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) eine Sonderkommission ein. Das hat das Justizministerium am Dienstagnachmittag bekannt gegeben. 

Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) will mit der Sonderkommission "die medial transportierten Vorwürfe umgehend überprüfen" und "mögliche Versäumnisse" im Vorfeld der Bluttat am Brunnemarkt "restlos aufklären", teilte er in einer der APA übermittelten Stellungnahme mit. Er sei "an der umfassenden Aufklärung der Umstände, wie es dazu überhaupt kommen konnte, interessiert".

Die aktuelle Medienberichterstattung - angeblich soll die Staatsanwaltschaft Wien nicht auf ein Ersuchen eines Polizisten um einen "Arbeitsauftrag" reagiert haben - lasse sich "aus den uns vorliegenden Akten nicht nachvollziehen. Uns liegen teilweise widersprüchliche Informationen vor", erläuterte Brandstetter. Die Ermittlungen wegen Mordes führe selbstverständlich weiter die Staatsanwaltschaft Wien. Aufgabe der Sonderkommission sei es, "die sozialen und psychiatrischen Umstände sowie den jeweiligen Kenntnisstand der betroffenen Behörden zu erheben, um allfällige Missstände aufzudecken und entsprechende notwendige Maßnahmen daraus abzuleiten". Dazu soll die Kommission mit allen betroffenen Behörden auf Bundes- und Landesebene sowie auch der Volksanwaltschaft Kontakt aufnehmen und diese einbinden.

"Mögliche Versäumnisse in der Zusammenarbeit der zuständigen Behörden, insbesondere an den Schnittstellen von deren Zuständigkeiten, müssen restlos aufgeklärt werde", bekräftigte Brandstetter. Zum Leiter der Sonderkommission wurde Helfried Haas, Vizepräsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen (ZRS) Wien, bestimmt.

Staatsanwaltschaft reagiert

Die Staatsanwaltschaft Wien hat die Vorwürfe des "Falter" entschieden zurück gewiesen, man habe auf den verwahrlosten, obdachlosen 21-Jährigen nicht eher reagiert, der in der vergangenen Woche am Brunnenmarkt eine 54 Jahre alte Frau zu Tode brachte. Das Mail eines Polizisten, der einen "Arbeitsauftrag" erbeten hatte, sei "umgehend bearbeitet worden", versicherte Behördensprecherin Nina Bussek.

"Die Sachbearbeiterin hat natürlich geantwortet. Es gibt einen Mail-Verkehr. Es wurde das weitere Vorgehen besprochen. Es wurde aber keine Festnahmeanordnung erlassen, weil das nach Ansicht der Staatsanwaltschaft unverhältnismäßig gewesen wäre", erläuterte Bussek am Dienstagabend im Gespräch mit der APA.

"Auch die kolportierten Zahlen von 18 Anzeigen und vier anhängigen Verfahren stimmen nicht", betonte Bussek. Richtig sei, dass gegen den gebürtigen Kenianer beim Straflandesgericht seit 2014 ein Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt nach einem Ladendiebstahl anhängig sei. In dieses Verfahren wurden laut Bussek mehrere kleine Lebensmitteldiebstähle einbezogen. Der 21-Jährige wurde außerdem im Jahr 2015 zwei Mal wegen leichter Körperverletzung angezeigt - dass dabei schon ein Mal eine Eisenstange im Spiel war, wie es in Medienberichten geheißen hatte, "steht nicht hundertprozentig fest, zumal diese Anzeige erst drei Wochen nach dem Vorfall eingegangen ist", sagte Bussek.

2016 wurde gegen den gebürtigen Kenianer schließlich noch wegen Sachbeschädigung ermittelt. Dieses Verfahren wurde eingestellt.

Auszüge aus Gerichtsakt

Wie der "Falter" berichtet, war die Polizei, anders als bislang kolportiert, in diesem Fall nicht untätig. Im Gegenteil: noch am 22. März forderte die Polizeiinspektion Brunnengasse per E-Mail die Wiener Staatsanwaltschaft auf, endlich zu handeln und einen „Arbeitsauftrag“ zu erteilen.

Gegen Francis N. seien nämlich schon vier Strafverfahren im Gange – unter anderem wegen räuberischen Diebstahls, Körperverletzung, Widerstand und gefährlicher Drohung – und er sei bereits nach 18 Strafanzeigen 26  Mal persönlich aufgefordert worden, bei der Staatsanwaltschaft zu erscheinen, allerdings vergeblich.

Kein Haftbefehl erlassen

Die Staatsanwaltschaft, so zeigt die Akte, hatte auch nach diesem Hinweis keinen Haftbefehl erlassen. Dies obwohl Francis N. bereits im Juni 2015 angezeigt wurde, einen Passanten „ohne ersichtlichen Grund“ mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen zu haben. Auch hier wurde von der Staatsanwaltschaft kein Gerichtspsychiater bestellt oder eine Festnahme-Anordnung erlassen. Auch ein Amtsarzt oder ein Sachwalter wurden nicht konsultiert.

Offenbar gibt es auch bei der Staatsanwaltschaft Wien nun enorme Meinungsverschiedenheiten. Ein Staatsanwalt, der die Akte Francis N. kennt, sagt: „Ich bin schockiert. Wir hätten handeln müssen“. Eine Behördensprecherin hingegen verteidigt die Staatsanwaltschaft: man habe alles richtig gemacht.

Wie Falter-Recherchen zeigen, soll Francis N. von der Polizei auch mehrmals wegen „tobender Psychosen“ in psychiatrische Krankenhäuser ausgeführt worden sein. Die medizinischen Informationen mussten jedoch „aus Datenschutzgründen“ nachträglich aus der Akte gelöscht werden. „Faktum ist, wir waren mit ihm auf der Psychiatrie, aber er wurde nie aufgenommen“, so ein Polizist zum "Falter". Die betroffenen Spitäler – Rudolfsstiftung und Otto Wagner-Spital – stellen klar, Francis N. sei nie registriert worden.

Witwer klagt Staat: "Jeder kannte ihn"

Der Witwer jener 54-jährigen Frau, die in der Nacht auf Mittwoch am Wiener Brunnenmarkt von einem 21-jährigen Mann mit einer Eisenstange erschlagen worden ist, will den österreichischen Staat klagen. "Ich habe bereits einen Anwalt eingeschaltet", erklärte der 65-jährige in einem Interview mit der Tageszeitung "Österreich" (Sonntagausgabe).

Den Behörden werfe er Untätigkeit im Hinblick auf den mutmaßlichen Täter vor, hieß es: "Jeder am Brunnenmarkt kannte den Mann und wusste, dass er gefährlich ist. Auch die Polizei wusste, wer er ist und wo er sich aufhält. Wieso haben sie nie die Anordnung erhalten, ihn wo hinzubringen, wo er niemandem etwas tun kann?" Über den Verdächtigen wurde am Freitag die Untersuchungshaft verhängt.