Erste Symptome der Multiplen Sklerose (MS) können äußerst unspezifisch sein. Koordinationsstörungen können ebenso vorkommen wie ein Taubheitsgefühl oder „Ameisenkribbeln“ in den Gliedmaßen. Bei rund einem Drittel der Betroffenen kommt es auch zu Sehstörungen, meist nur auf einem Auge. Auch rasches Ermüden (Fatigue) bzw. Konzentrationsstörungen können auftreten. Dass aber die Erkrankung schon davor entsteht, vor dem ersten Schub ihren Lauf nimmt, ist keine große Neuigkeit. Expertinnen und Experten sind seit Längerem überzeugt, dass MS immunologisch, aber auch neurobiologisch präklinisch abläuft. Diese Erwartung hat eine neue Studie bestätigt, die sich auf die Suche nach Biomarkern zu einer frühen Diagnose von MS gemacht hat. Die Arbeit des internationalen Forschungsteams wurde im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlicht.

Denn die Diagnose von MS ist schwierig und langwierig, vor allem auch weil es keine Schnelltests bzw. Test zur Früherkennung gibt. Um einen spezifischen Biomarker zu finden, der eine fixe Diagnose erlaubt, untersuchten die Forschenden Blutseren von Hunderten MS-Betroffenen. Die Daten stammen von dem Department of Defense Serum Repository, dem Serum-Depot des US-Verteidigungsministeriums. Bei zehn Prozent der MS-Erkrankten zeigte sich ein Muster an Autoantikörpern. Diese spezifischen Autoantikörper sind Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit sowie auch nach erfolgter Diagnose nachweisbar.

Fehlgeleitete Immunreaktion

„Die Antikörperreaktion könnte Ausdruck einer fehlgeleiteten Immunreaktion im Rahmen einer Epstein-Barr-Virus-Infektion (EBV) sein“, sagt Bernhard Hemmer, Neurologe vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Dass das Epstein-Barr-Virus eine Rolle bei der Entstehung von MS spielen kann, ist schon länger bekannt. Aber: Nur eine von 300 bis 400 Personen, die mit EBV infiziert ist, entwickelt eine MS. „Somit reicht die EBV-Infektion nicht aus, sondern es muss zu einer Fehlreaktion im Immunsystem kommen. Möglicherweise zeigt die beschriebene Antikörperreaktion diese Fehlreaktion an“, erklärt Hemmer.

Ob diese Forschungsergebnisse in die Entwicklung eines breit einsetzbaren Biomarker-Tests münden, ist noch unklar. „Aus meiner Sicht ist noch ein gewisser Weg zu gehen, um diese ‚Früherkennungssignatur‘ klinisch nutzbar zu machen“, sagt Heinz Wiendl, Neurologe von der Universität Münster. Vor allem auch, weil „nur“ zehn Prozent der MS-Erkrankten diese spezifische Autoantikörpersignatur gezeigt hätten. „Von der Spezifität des Tests für die MS-Erkrankung wird abhängen, ob dieser jemals klinisch einsetzbar wird“, sagt Hemmer.

Frühe Diagnose

Beide Experten sind sich aber einig, dass eine frühe Diagnose Vorteile für die Betroffenen und die Therapie mit sich bringen würde. „Ich würde annehmen, dass eine Behandlung von Patienten im Prodrom der Erkrankung – das heißt, vor dem Ausbruch von Entzündungsaktivität im Zentralnervensystem – eine gute Chance hätte, den Ausbruch der MS-Erkrankung zu verhindern. Dies ist allerdings eine Annahme, die aktuell nicht durch Studien untermauert ist“, erklärt Hemmer. Und Wiendl fügt hinzu: „Im Fall eines erhöhten Risikos für MS könnten Betroffene versuchen, die Situation durch Modifikationen von Lebensstil und Umweltfaktoren zu beeinflussen. Allerdings sind beide Faktoren keinesfalls kausal für das Entstehen der Krankheit.“