Die vielfach prämierte und international erfolgreiche Sisi-Interpretation "Corsage" von Marie Kreutzer wurde der Favoritinnenrolle nicht gerecht. Von den acht Nominierungen für den Österreichischen Filmpreis blieben am Donnerstagabend im Globe Wien vier Auszeichnungen über – für die beste Kamera (Judith Kaufmann), das beste Kostümbild (Monika Buttinger) sowie das beste Maskenbild (Maike Heinlein, Helene Lang).

Die vielfach prämierte Sisi-Interpretation "Corsage" von Marie Kreutzer wurde der Favoritinnenrolle nicht gerecht
Die vielfach prämierte Sisi-Interpretation "Corsage" von Marie Kreutzer wurde der Favoritinnenrolle nicht gerecht © APA/TOBIAS STEINMAURER

Und: Schauspielstar Vicky Krieps krönte sich – nach Cannes, Europäischem Filmpreis, etc. – als Kaiserin Elisabeth zur besten weiblichen Hauptrolle. Sie konnte den Preis nicht persönlich entgegennehmen, da sie gerade am anderen Ende der Welt – in Neuseeland – dreht. Krieps schickte eine Videobotschaft und bedankte sich für "diese Reise" mit dieser Figur und Regisseurin und Drehbuchautorin Marie Kreutzer.

Als inhaltlich großer Gewinner ging das doku-fiktionale Projekt "Vera" von Tizza Covi (Bild) und Rainer Frimmel hervor, das dem Filmemacherduo die Regietrophäe brachte und auch als bester Film gewürdigt wurde
Als inhaltlich großer Gewinner ging das doku-fiktionale Projekt "Vera" von Tizza Covi (Bild) und Rainer Frimmel hervor, das dem Filmemacherduo die Regietrophäe brachte und auch als bester Film gewürdigt wurde © APA/TOBIAS STEINMAURER

Die Causa Florian Teichtmeister überschattete die Gala. Dem Ex-Burgtheaterstar wird der Besitz Zehntausender Dateien mit Kindesmissbrauchsdarstellungen vorgeworfen, nach geplatztem Prozess im Februar, steht ein neuer Termin noch aus. In "Corsage" verkörpert er Kaiser Franz Joseph, in "Serviam - Ich will dienen" den Vater einer Internatsschülerin. Beide Filme wurden von den Produzierenden zum Filmpreis eingereicht.

Auf Initiative von "Stoppt Missbrauch" fand vor der Gala eine angemeldete Demo "gegen Verharmlosung des Kindermissbrauchs durch Politik und Justiz" statt. Eine Polizeieskorte geleitete die Filmprominenz in die Halle. Sie hielten Plakate in die Höhe, auf denen stand u. a. "Null Toleranz für Kinderschänder". Dazu: laute Trommeln und die Frage: "Sind Sie gegen Kindesmisshandlung, dann unterschreiben Sie bitte hier!" Während der Veranstaltung drinnen hörte man die Musik, Songs und Trommeln von draußen bis in den Saal hinein.

"Kultur des Hinschauens"

Die Causa Teichtmeister und die Debatte um Übergriffe, sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch bestimmte den Abend und spiegelte sich in den Reden der von Catalina Molina locker und kurzweilig inszenierten und vom Duo Julia Jelinek und Thomas Mraz flott, gewitzt und selbstironisch moderierten Gala wider.

Auch Verena Altenberger und Arash T. Riahi, die die Akademie-Präsidentschaft innehaben, äußerten sich: "Aber wir bewegen uns, arbeiten, ringen um eine Haltung, um Solidarität, um Ausgewogenheit und um Offenheit der Debatten. Wir kämpfen für Schutzmodelle, Nachwuchs und Diversität, physische und psychische Sicherheit", sagten sie u.a. "Alle teilen wir eine grundlegende Haltung: Für Demokratie, für Gleichberechtigung der Geschlechter und Nationalitäten – für die Gleichberechtigung aller Menschen – und gegen jeglichen Machtmissbrauch." Fokus: von einer "Kultur des Wegschauens" zu einer "Kultur des Hinschauens und des Darüber-Redens" zu gelangen.

"Corsage"-Regisseurin Marie Kreutzer nahmt den Preis anstelle von Krieps entgegen und mahnte die Kolleginnen und Kollegen ein. Die Causa Teichtmeister sei zu einer Causa "Corsage" gemacht worden. Dabei begegne man den Fragen von Missbrauch überall in der Gesellschaft: "Das ist nicht das Problem von 'Corsage', auch nicht der Akademie oder der Filmbranche – das ist unser aller Problem." Und weiter hieß es: "Je mehr, je offener, je ehrlicher wir auch in unserer Branche über Machtmissbrauch und Übergriff in und um Filmteams sprechen, je mehr der Geschichten, die wir alle kennen, werden publik werden. Das ist wichtig, und das ist schmerzhaft für viele", so Kreutzer.

Sie nannte drei anonyme Beispiele: So habe ein Filmemacher als "Penisdouble" für einen Darsteller fungiert, der die Oralsexszene mit einer Kollegin nicht realistisch genug darstellen wollte. Weiters soll ein Darsteller vor der Maskenbildnerin onaniert haben sowie ein anderer Darsteller für eine Hauptrolle verpflichtet worden sein, obwohl eine gerichtliche Wegweisung seiner Lebensgefährtin vorgelegen habe. Ihr Fazit: Zurückgezogene Förderungen, Filmpreise oder Ausladungen seien nur Momentaufnahmen. "Wie wir als Menschen und Kolleginnen und Kollegen miteinander umgehen, das zählt", erklärt Kreutzer.

Und Catalina Molina forderte am Ende: "Manchmal ist es ganz einfach: Keine Täter und Täterinnen auf ein Filmset zu lassen, dafür ist dieser Ort viel zu schön."

Die mittlerweile 600 Mitglieder der Akademie kürten den semi-dokumentarischen Film "Vera" von Tizza Covi und Rainer Frimmel mit Vera Gemma als besten Spielfilm, auch der Regie-Preis ging an das Duo sowie die Ehrung für den besten Schnitt. Ihre Protagonistin, Vera Gemma, reiste extra nach Wien an und war sichtlich erfreut und gerührt über den Preisregen. "Nach 52 Jahren erhielt ich so endlich meine Zufriedenheit."  Claudia Müllers fulminante Verneigung "Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen" vor der Sprachgewalt der Literaturnobelpreisträgerin wurde nach dem Deutschen Filmpreis auch zum besten Dokumentarfilm geadelt. Produzentin Claudia Wohlgenannt äußerte einen Wunsch bei ihrer Dankesrede: "einen unabhängigen ORF" und eine Abgabe für Streamer.

Über den Preis als beste männliche Hauptrolle darf sich der Steirer Gerhard Liebmann für seine Verkörperung des Vizeleutnants Eismayer freuen, Luka Dimic erhielt den Preis für die beste männliche Nebenrolle in "Eismayer". Liebmann zollte Regisseur David Wagner – er wurde für das beste Drehbuch ausgezeichnet – Respekt: "Ich habe mich selten so gewollt gefühlt." Gerti Drassl den Preis für die beste Nebenrolle in Adrian Goigingers "Märzengrund".

Die schönste Geschichte des Abends ist jene von Mo Harawe: Er kam als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Österreich, über ein Tandemprojekt lernte er Otto Simon kennen. Sie beide teilten die Leidenschaft fürs Kino. Und nun, Jahre später, erhielt Harawe den Preis für den besten Kurzfilm für "Will my parents come to see me". Er war per Videobotschaft zugeschalten, weil er gerade sein Langfilmdebüt dreht.