Pralles Bild der Verhältnisse

In Zeiten wie diesen, machen sich ein paar Zeilen aus der Offenbarung des Johannes gut, zum Beispiel: „Und der auf der Wolke saß, schlug mit seiner Sichel an die Erde, und die Erde ward geerntet.“ Und dann schaut man sich um und sieht: Zartgrüne Hügel. Aprikosenlicht Anfang April. Und einen seltsam magischen Text: „Auf einer fernen Anhöhe entblößte sich sich schamhaft ein Dörfchen, das auf einem gewölbten Hang gesetzt und mit einem Kirchturm dort befestigt war.“ Ein Mädchen, gerade 15 Jahre alt, ist schwanger und erfindet, vom Vater windelweich geprügelt, eine abenteuerliche Geschichte vom Teufel, der über sie gekommen wäre. Mit jedem Schlag wächst in der Bauerntochter der Widerstand, sie verweigert die übliche Opferrolle als Hure mit einem Bankert und rebelliert gegen die Bigotterie und das patriarchalische System. Der Roman „Chronos erntet“(ausgezeichnet mit dem Prešeren Fund Award) der slowenischen Autorin und Philosophin Mojca Kumerdej (Jahrgang 1964) schlägt vom ersten Satz weg in seinen Bann und einen grandiosen Bogen vom Leben in den innerösterreichischen Landen des späten 16. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Über die Epochen verbindendes Element ist die Befreiung von falscher Autorität. Erwin Köstler wurde für die vortreffliche Übersetzung von Kumerdejs praller sinnlicher Sprache ins Deutsche mit dem Fabjan Hafner Preis ausgezeichnet.
„Skurrilerweise scheint es, dass in Zeiten der heutigen politischen Präferenzen der von Migrationshysterie und Virenangst getriebenen Wähler das in fernen Zeiten angesiedelte Werk nach seinem Erscheinen immer noch an Aktualität und Bedeutung gewinnt. Wir können nur dankbar sein, dass dieses wichtige Buch nun in deutscher Sprache vorliegt“, heißt es in der Begründung.
Mojca Kumerdej. Chronos erntet. Wallstein. 472 Seiten. 28,80 Euro

"Ati, hörst du mich", fragt der Sohn

Soeben erschienen sind „Erste und letzte Gedichte“ von Fabjan Hafner, übersetzt von Peter Handke. Der Literaturnobelpreisträger hat auch das Vorwort geschrieben. „Die Worte, die Sätze, die Zeilen kommen allein und rein aus dem „Ich, Fabjan“ selber, und das schon mit der ersten - zumindest mit der ersten publizierten – Strophe des Fünfzehn-, Sechzehnjährigen“, stellt Handke fest. „Keine Spur je von rhythmischen Stammeln oder Zungenreden“ und das bis zum letzten Gedicht, in dem der im Mai 2016 aus dem Leben gegangene Fabjan Hafner den Vater fragt: „Ati, sag endlich, ob du mich überhaupt hörst“.

Der schmale Band ist eine intensive, fast schmerzhafte Begegnung mit der poetischen Welt des Fabjan Hafner. Verhalten, ernst, den Blick nach innen gerichtet, ergänzt mit einem erläuterndem Nachwort von Dominik Srienc (Musilinstitut) und einer Widmung von Gustav Januš.
Fabjan Hafner. Erste und letzte Gedichte. Suhrkamp. 119 Seiten, 20,60 Euro.

Fünffach spannend

Passend zu dem, was sich derzeit abspielt, kann man die Reihenfolge der Normandie-Krimis von Benjamin Cors links liegen lassen und mit Band 3 „Gezeitenspiel“ beginnen. Im Windschatten der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Alliierten-Landung sind Terroranschläge geplant. Nicolas Guerlain, Personenschützer der französischen Regierung, ist gefordert. Sein Wettlauf mit der Zeit ist so spannend, dass man sofort die Vorgängerbände „Strandgut“ (1) und „Küstenstrich“ (Nummer 2) ins Visier nimmt und die beiden jüngsten Krimis der Reihe ebenfalls: In „Leuchtfeuer“ (4) geht es um einen alten Fluch, in „Sturmwand“ (5) wird eine Flaschenpost mit einer Todesliste an Land gespült.
Benjamin Cors. Gezeitenspiel. dtv. 448 Seiten. 15,90 Euro