Zweimal hat der steirische herbst in seiner formalen Anlage entschieden auf die von der Pandemie ausgelöste gesellschaftliche Krise reagiert. 2020 wanderte man zum Gutteil ins Digitale aus, 2021 verlegte man den Termin vor, um den auf vielfältige Weise bespielten öffentlichen Raum besser nutzen zu können. Wie letzteres exemplarisch geht, zeigte Tino Sehgal mit seiner Park-Performance. Solche Kunststars und ihre Arbeiten im öffentlichen Raum setzen zugleich die Highlights 2021: Marinella Senatores Installation, Thomas Hirschhorns Denkmal für Simone Weil waren aber nicht nur in sich gelungen, sondern markierten den wichtigen Schritt zur stärkeren Sichtbarkeit des herbst im Stadtraum. Flo Kasearus urbane Patrouillen, die „Radieschen“-Aktion von G.R.A.M. am Kunsthaus und die an 140 Orten platzierten Kunstplakate mag man da hinzurechnen.
Das Problem des herbst besteht nach wie vor darin, dass dem Festival das Festliche abgeht. Die Atmosphäre krankt an einer Dramaturgie, welche die Spannung nicht über mehrere Wochen gewährleistet. Die Beachtung des herbst von außen ist die andere Baustelle, schwierig gerade in Zeiten, in denen mittelgroßen Kunstfestivals jenseits der Megaevents die Aufmerksamkeit zügig abhandenzukommen scheint. Dass der steirische herbst eine positive Kritik in der „Süddeutschen Zeitung“ als Beleg für das internationale Echo explizit hervorholt, ist angesichts der Festivalgeschichte fast rührend. Tatsächlich steht der herbst schon seit mindestens einer Dekade vor dem Problem, in einer auf vielen Ebenen gesättigten Gesellschaft noch jene Aufmerksamkeit zu generieren, die bis tief in die 1990er selbstverständlich war. Die Welt hat sich weitergedreht, der herbst ist ein Festival unter vielen, das es nicht mehr nur schwer hat, sich international zu behaupten, sondern überhaupt auf regionaler Ebene noch als große Besonderheit wahrgenommen zu werden.
Wenig hilfreich war da 2021 die wieder breiter aufgestellte performative Schiene. Der Versuch, sich nach den Kunst-Schwerpunkten der ersten Degot-Jahre das Label des Mehrspartenfestivals zurückzuholen, zeitigte eindrucksvolle („Ich spiele, also bin ich!“ von Steyerl/Waschke) und charmante („Cooking With Mama“ von Hiwa K.) Ergebnisse, aber auch zu viele banale (etwa Divjaks „Vrocina/Fieber“, Kaludjerovićs „Conversations“). So flach muss zeitgenössische Kunst nicht sein. Perlen fanden sich einmal mehr im „Parallelprogramm“, etwa bei Follow the Rabbit und Planetenparty Prinzip: schlagende Argumente für die verstärkte Einbindung lokaler Gruppen in den programmatischen Hauptstrang des Festivals.
Es gab anerkennenswerte Versuche, Formate zu etablieren, die einmal besser, einmal schlechter gelangen: etwa die Lageberichte mit Lars Cuzner, Stefanie Sargnagel, Pia Hierzegger, Verein Clio oder die Grätzel-Rundgänge, die Letzterer im Parallelprogramm durchführte. Apropos: Das Label Parallelprogramm hält wichtige Partner auf Distanz. Etwas ärgerlich ist die durchsichtige Strategie, Institutionen wie das Bruseum („Bild-Dichtungen“, seit 16. Juni) oder das Kultum bei den Minoriten („Einatmen – Ausatmen“, seit 3. Juni) zur Aufpolsterung eines quantitativ eher dünnen Ausstellungsprogramms heranzuziehen.
Dass die Publikumsgruppe unter 35 Jahren die größte ist, ist das beste Zeichen für die Festivalzukunft. Gerade dem jungen Publikum könnte man in den nächsten Jahren (vor allem im Bereich Performance) wieder härtere und komplexere Programme zutrauen. Der Saurier darf ruhig wieder lauter brüllen.
steirischer herbst
Festivalresümee: Der Weg ins Freie gelang nur etappenweise
