Im August 2017 wurde der Regisseur Kirill Serebrennikow in Moskau verhaftet. Die Anschuldigung: die Veruntreuung von staatlichen Fördermitteln, die er als Chef des Gogol-Zentrums bezogen hatte. 2012 hatte der Künstler die Leitung des Moskauer Avantgardetheaters übernommen und war seither überall im Putin-Staat angeeckt: bei der Politik, bei der russisch-orthodoxen Kirche, bei Schwulenhassern aller Arten.

Schnell war die Rede davon, dass die Vorwürfe gegen Serebrennikow von vorne bis hinten konstruiert seien, um an einem missliebigen Künstler ein Exempel zu statuieren. Bizarr: Unter anderem wurde dem Theatermacher vorgeworfen, dass gewisse Stücke nicht aufgeführt worden seien, obwohl davon sogar Videoaufzeichnungen existieren.

Die Sache schlug Wellen über ganz Europa: Protestnoten und Solidaritätsbekundungen wurden eingereicht, was alles nichts half. Er wurde unter Hausarrest gesetzt, was nichts anderes war als eine Isolationshaft: Der Künstler durfte nur mit seinem Anwalt kommunizieren. 2020 wurde er schließlich schuldig gesprochen, die Strafe von drei Jahren aber zur Bewährung ausgesetzt.

Der Regisseur ließ sich von dieser offensichtlich politisch motivierten Verfolgung nicht auf stumm schalten: Er arbeitete weiter. Bei Mozarts "Così fan tutte" im Opernhaus Zürich musste er die Regieanweisungen noch über Mittelsmänner in den Westen bringen, nun darf er sich wenigstens innerhalb Russlands wieder frei bewegen und war bei den "Parsifal"-Proben in Wien via Videoschaltung dabei. "Ich hatte schon Erfahrungen gesammelt, wie man auf die Weise inszeniert", erzählt Serebrennikow, der trotz Isolation und Haft zu den gefragtesten Künstlern im Westen zählt. Als Nächstes inszeniert er für die Münchner Staatsoper Dmitri Schostakowitschs "Die Nase".

Nun aber Wien, eine "Parsifal"-Produktion mit Staraufgebot (Jonas Kaufmann, Elīna Garanča, Georg Zeppenfeld sowie Dirigent Philippe Jordan). Eine der berühmten Zeilen aus "Parsifal" gab den Ausschlag, die Oper in ein Gefängnis zu verlegen: "Zum Raum wird hier die Zeit." Serebrennikow: "Es ist die passende Metapher, weil in einem Gefängnis der Raum zur Zeit wird, und umgekehrt." Parsifal (Jonas Kaufmann) blickt auf seine Zeit im Gefängnis zurück, schaut in den beiden ersten Aufzügen sich selbst als jungem Toren (Schauspieler Nikolay Sidorenko) zu. In der Oper gehe es um den Versuch, sich selbst zu verstehen, um eine schmerzhafte Selbstreflexion. Für Serebrennikow leben wir in einer Zeit, in der wir "unglaublich von uns selbst abgelenkt sind".  Für ihn ist dieser "Parsifal" ein "Denkmal der Pandemie". "Die Arbeiten haben angefangen, als ich meinen persönlichen Lockdown hatte, der hat sich zu einem globalen Lockdown ausgeweitet: Plötzlich hat man sich selbst in der Wohnung getroffen." In dieser verordneten Nachdenkpause sei man mit den wesentlichen Fragen allein: "Was glauben wir? Wer sind wir?"