Dutzende Preise hat sie für diese Rolle schon bekommen, darunter Golden Globe, Screen Actors Guild Award, Bafta, Independent Spirit Award - und nun auch noch den Oscar als beste Nebendarstellerin: kaum eine Auszeichnung, die Patricia Arquette als Mutter in "Boyhood" nicht gewonnen hat. Der Preisregen macht beinahe vergessen, dass die Schauspielerin, in den Neunzigern mit Filmen wie "True Romance" und "Lost Highway" bekannt geworden, jahrelang kaum noch auf der Leinwand zu sehen war. Jetzt, mit 46, avancierte sie doch noch zu einer Ikone der Traumfabrik: "Sie hat bewiesen, dass es in Hollywood immer noch gute Rollen für Frauen über 40 gibt", scherzten die Moderatorinnen Tina Fey und Amy Poehler bei der Globe-Verleihung, "vorausgesetzt, sie sind bei Vertragsunterzeichnung noch unter 40."

"Boyhood": Arquette mit Regisseur Richard Linklater und ihren Film-Kindern Ellar Coltrane und Lorelai Linklater auf der Berlinale © APA/EPA/TIM BRAKEMEIER

Eine Anspielung auf die zwölf Jahre Drehzeit, die Regisseur Richard Linklater für "Boyhood" benötigte. Jeden Sommer traf sich die Filmcrew für ein paar Wochen, um in Echtzeit vom Erwachsenwerden eines Buben zu erzählen. Mason, gespielt von Ellar Coltrane, zu Beginn des Films sechs, am Ende 18 Jahre alt, steht im Mittelpunkt des Films; sein Herz aber ist Arquette, die sich als alleinerziehende Mutter beim Leben, also Älterwerden, zusehen lässt. Dass sie in "Boyhood" nur eine Nebenrolle spielt, vergisst man beinahe angesichts der emotionalen Wahrhaftigkeit ihres Spiels. "Vollkommen frei von Eitelkeit" fand Linklater sie. Und Arquette selbst machte aus gegebenem Anlass in einem Interview mit der "New York Times" ihrem Ärger über den Anspruch Luft, in Hollywood für immer jung, schlank, frisch bleiben zu müssen: "Ich muss doch wachsen und altern und ein Mensch sein können, ohne ewig auf die junge Unschuld festgelegt zu werden."

Harte Post für eine Industrie, die sich als progressiv begreift, in der aber sogar weibliche Superstars, wie jüngst der Sony-Hack zeigte, schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen. Und in der Frauen nach wie vor mehrheitlich als Stichwortgeberinnen für männliche Helden fungieren. Solange sie, siehe oben, unter 40 sind. Danach geht es ab zum Botoxdoktor oder ins TV (oder man ist Julianne Moore oder Meryl Streep). "Slate"-Journalist Dan Kois hat dazu errechnet, dass nur 21 jener 125 Filme, die in den letzten 20 Jahren für den Oscar als bester Film nominiert waren, Frauen in den Mittelpunkt stellten. Und auch auf dem roten Teppich geht es nach wie vor in erster Linie um die Designerfetzen der Schauspielerinnen - und nicht um ihre Leistungen. Standardfrage der Oscar-Interviewer: "Was tragen Sie?" Auf diese Frage hat Arquette jedenfalls die richtige Antwort gefunden: Statuetten, viele Statuetten, und darunter ist nun auch der berühmteste kleine goldene Mann der Welt.

UTE BAUMHACKL