Hätte man Muhammad Hassan vom K2 retten können? Oder war sein Tod unausweichlich? Der Tod des pakistanischen Bergsteigers, an dem offensichtlich eine Hundertschaft an Bergsteigerinnen und Bergsteigern vorbeistieg, schockiert die Menschen.

Seit den 1990er-Jahren hat sich auf den höchsten Bergen der Welt ein Gipfeltourismus entwickelt, der Menschen in die Berge bringt, die dafür viel Geld zahlen: 50.000 bis 100.000 Euro pro Person sind möglich. Die Situation am 27. Juli gestaltete sich so, dass viele Teams aus aller Welt in sogenannten kommerziellen Expeditionen am K2 unterwegs waren. Der 27-jährige pakistanische Bergführer Hassan war in der Flaschenhals-Traverse in einer Höhe von 8200 Metern gestürzt: "Er war vom russischen Veranstalter '7 Summit Club' als Teil des Ropefixing-Teams engagiert gewesen", sagt Lukas Furtenbach von Furtenbach Adventures. Er hatte an diesem Tag auch ein Team vor Ort, das eine Expedition führte: Unter anderem war der Tiroler Hotelier Willi Steindl, der jetzt die Familie des verstorbenen 27-Jährigen besuchte und die Situation vor Ort anprangerte, Kunde bei Furtenbach Adventures. Für Furtenbach steht fest: "Eine Rettung ist durchaus möglich." Laut Furtenbach war das Fixseil auf den K2 noch nicht verlegt, Hassan war in der Gruppe, die dieses hätte verlegen sollen. Hinter ihm ging Kristin Harila mit ihrem Team, das einen Rekord jagte: Alle 14 Achttausender in 92 Tagen zu besteigen. Der K2 komplettierte an diesem Tag dann auch ihr Gipfelrennen.

Der Sturz in der Traverse

Bergführer Hassan war einige Meter gestürzt und hing kopfüber mit einem gebrochenen Bein unterhalb der Spur. "Das Team von Harila ging weiter und einer ihrer Kameraleute hat den Verletzten auf die Spur gezogen, das hat 70 Minuten gedauert. Dann wurde der Kameramann allerdings von seinem Team zum Gipfel beordert und ein pakistanischer Höhenträger blieb bei Hassan", sagt Furtenbach. Die kommerziellen Bergsteigerinnen und Bergsteiger, also alle Kunden, wären nicht in der Lage gewesen zu helfen: "Die Kunden sind dazu nicht in der Lage", sagt Furtenbach. Auch Hanns Schell, Grazer Industrieller und Achttausender-Bergsteiger, sagt: "Diese Bergsteiger sind fußmarod, du kannst nicht erwarten, dass einer von ihnen eine Rettung hätte durchführen können. Dass die Leute aber dort eine Stunde vorbeigehen, ist sehr arg." Für ihn gilt: "Aus humanitären Gründen musst du helfen." Für Schell ist aber auch klar, wenn du dort stehen bleibst, schiebt hinter dir die Kolonne nach: "Wenn einer einen Fehler macht, darf er sich nicht vom Fixseil aushängen. Bei Hilfe müsste er zumindest eine Rebschnur mithaben, dass er absteigen kann." Doch die Querung, wo der Unfall passierte, ist unterhalb eines riesigen Eisbruches: "Das ist sehr steil und heute stark mit Fixseilen versichert." Ein kommerzieller Bergsteiger hätte keine Chance zu helfen.

Willi Steindl besucht die Familie des verstorbenen Muhammad Hassan
Willi Steindl besucht die Familie des verstorbenen Muhammad Hassan © Privat

Warum half niemand?

Warum haben aber die Bergführer, die in der Lage gewesen wären, nicht geholfen? "Das ist eine komplexe Frage. Man erwartet sich von einer geführten Expedition, wenn man selber in einer Notsituation ist, dass einem geholfen wird. Der Umkehrschluss ist, wenn jemand Hilfe braucht, muss man bereit sein zu helfen." Mit Atemluft aus Sauerstoffflaschen könne man bei den eisigen Temperaturen schon einige Zeit stehen – es wird aber mit jeder Minute gefährlicher. Der Flaschensauerstoff führt dazu, dass man sich dort wie etwas unter 7000 Metern bewegen kann.  "Der Fall Hassan ist aber eine neue Dimension, dass so viele so dreist über einen noch Lebenden steigen." Ein Aushängen vom Fixseil ist für Kunden aber nicht möglich, das wäre in dem 45 bis 50 Grad steilen Gelände für viele der Tod. Furtenbach sagt aber auch: "Wenn das nicht ein Pakistani gewesen wäre, hätte es eine Rettungsaktion gegeben. Das ist der eigentliche Skandal."

Für Markus Raich, österreichischer Filmemacher und seit vielen Jahren im Himalaya auch als Bergretter unterwegs, ist klar: "Ein Gipfelsieg ist nicht so viel wert wie ein Menschenleben." Für ihn sind die meisten, die sich heute in kommerziellen Expeditionen Gipfel kaufen, Egoisten: "Da gibt es keine Bergkameradschaft. Und jeder steigt über den anderen drüber." Er glaubt aber, dass jeder hätte helfen können: "Und wenn man dem Mann nur seinen Sauerstoff gibt oder eine Zeltplane." Das würde in jedem Fall aber einen Abbruch der Expedition bedeuten.

Gefährliches Abenteuer

Dass man am Berg umkommen kann, ist nicht neu, sondern etwas, das ganz normal ist. Oswald Oelz, Höhenmediziner und Alpinist, sagte es einmal so: "Das Leben ist lebensgefährlich." Doch: Viele Alpinistinnen und Alpinisten aus aller Welt, die keine Profis und keine Extrembergsteiger sind, kaufen sich heute den Everest oder den K2 und wollen gut und sicher versorgt werden: Sie kommen aber auch mit der Einstellung an den Berg, eine gute Zeit zu erleben. Der Tod darf in diesem Freizeitvergnügen keine Rolle spielen. Dass aber der nahende Tod eines anderen Bergkameraden nicht dazu führte, dass man half, wirft viele Fragen auf, die noch nicht geklärt sind. Sie werden aber untersucht. Und auch wenn man von hier aus die Situation am Flaschenhals am 27. Juli nur schwer beurteilen kann, bleibt doch die Frage: Ist die Moral von der Geschichte, einem sterbenden Pakistani hilft man nicht? Markus Raich hat selbst am Cho Oyu (8188 Meter hoch) eine Bergung in einer Höhe von 7500 Metern durchgeführt: "Der Mann hatte eine Unterschenkelfraktur, den haben wir abgeseilt." Es wäre also möglich gewesen, nicht von den Kunden, aber von den Bergführern. Das hätte aber in jedem Fall einen Abbruch der Expedition bedeutet - was scheinbar niemand wollte.

Der Fall Muhammad Hassan wirft viele Fragen auf, die das zukünftige kommerzielle Bergsteigen auf den höchsten Bergen der Welt in Sachen Verantwortungsbewusstsein, Menschlichkeit und Hilfeleistung hinterfragt. Die Westler, die in diese Gegenden ziehen, müssen sich dessen bewusst sein. "Das Menschenleben steht immer vor dem Gipfelsieg", sagt Bergretter Raich. Und Kameradschaft ist scheinbar eine Tugend, die wenige mitbringen.