Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis rief alle Geflüchteten auf Lesbos auf, umgehend das neue, provisorische Zeltlager zu beziehen. Es sei ihre Pflicht, sagte Mitarakis am Montag.

"Ab kommenden Montag werden Asylverfahren nur für jene bearbeitet, die im Lager sind", erklärte der Minister im griechischen Radio. Er warnte die Menschen, die andere daran hinderten, die neue Einrichtung zu beziehen, die die Behörden in den vergangenen Tagen gemeinsam mit Hilfsorganisationen errichtet haben. "Wir wissen genau, um wen es sich handelt", sagte er mit Blick auf einen kleinen Teil der Migranten, die als Unruhestifter gelten. Sie hätten vergangene Woche das Feuer gelegt, das das Lager Moria zerstört habe. Griechenland lasse sich aber nicht erpressen.

Neues Zeltlager für 5.000 Migranten

Das neue Zeltlager könne jetzt mehr als 5.000 Migranten aufnehmen, sagte Mitarakis. In den kommenden Tagen solle es weiter ausgebaut werden, bis alle 12.000 Migranten, die jetzt obdachlos sind, untergebracht werden.

Ärzte ohne Grenzen (MSF) übte heftige Kritik an dem Wiederaufbau des Camps, das in den vergangenen Jahren wegen seiner katastrophalen Zustände immer wieder für Schlagzeilen sorgte. Es sei "illusorisch" zu glauben, dass man durch den Bau eines neuen Camps die Probleme nachhaltig lösen könne, sagt Caroline Willemen, MSF-Einsatzleiterin auf Lesbos, im Gespräch mit der APA. "Wir kreieren hier eine Situation, die immer explosiver wird. Sie ist es schon jetzt, aber es wird schlimmer werden", warnt Willemen, die bereits mehrfach auf Lesbos im Einsatz war. Die Menschen in ein neues Camp umzusiedeln werde "genau die gleichen Probleme wie zuvor in Moria" bringen, prophezeit die Expertin. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zu etwas anderem führt als zu einem ähnlichen Desaster wie vor einer Woche." Es werde "zum gleichen Drama" kommen.

Auch Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen Österreich betonte gegenüber der APA, dass sich alle Beteiligten - Bewohner von Lesbos ebenso wie Flüchtlinge - massiv gegen ein "Moria 2.0" stellten. Das sei ein "schreiendes Zeugnis" dafür, dass die geplanten Maßnahmen den eigentlichen Bedarf nicht abdeckten.

Demos und Gerüchte über neues Lager

Am Montag gingen zahlreiche Migranten erneut auf die Straßen von Lesbos und forderten, dass sie nach Westeuropa gebracht werden. Die überwiegend aus Afghanistan stammenden Demonstranten skandierten "Azadi! Azadi!" (Freiheit, Freiheit) berichtete das griechische Staatsfernsehen (ERT).

Viele Menschen zögern weiterhin, in dieses neue Camp zu gehen. Gerüchte machen die Runde, denen zufolge das provisorische Lager eine Art Gefängnis werden könnte, das niemand verlassen darf. Zudem hindern nach Augenzeugenberichten überwiegend aus Afghanistan stammende Migranten ihre Landsleute daran, ins Camp Kara Tepe zu gehen, wie es aus Regierungskreisen heißt.

Alle Geflüchteten, die nun nach Kara Tepe gebracht werden, würden auf Corona getestet, wie das griechische Migrationsministerium mitteilte. Von 550, die bis Montagvormittag aufgenommen wurden, seien 14 bei einem Schnelltest als Corona-positiv diagnostiziert worden.

Regierung uneins in Flüchtlingsfrage

In Österreich bleiben die innerkoalitionären Bruchlinien in der Frage der Flüchtlingsaufnahme indes deutlich sichtbar. Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer hielt am Sonntagabend bei "Im Zentrum" mit ihrer Kritik am türkisen Regierungspartner nicht hinter dem Berg. Die ÖVP habe in dieser Frage die Mitte verloren, so Maurer. Selbstverständlich müsse man dafür sorgen, dass die Situation in Griechenland verbessert wird, was aber nicht dagegen spreche, unbegleitete Minderjährige aufzunehmen. Maurer verwies auf diverse ÖVP-Bürgermeister, die bereit wären, Flüchtlinge aufzunehmen. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) blockiere dies aber, so Maurer: "Wir beißen hier auf Granit." Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) verteidigte indes den Ansatz der Hilfe vor Ort.

Der Nationalrat berät indes in einer Sondersitzung - neben der Coronakrise - auch über das Thema der Aufnahme von Flüchtlingskindern. Dabei gibt es vier verschiedene Anträge der Opposition. Eine Mehrheit war für keine der Entschließungen zu erwarten: Weder für jene von SPÖ und NEOS, die sich für die Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge aus dem Lager einsetzten, noch für die gegenteilige Forderung der FPÖ.

Auch in Deutschland Diskussionen

Auch in Deutschland sorgte das Thema für Diskussionen zwischen den Parteien. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will eine Entscheidung über die Aufnahme weiterer Schutzsuchender bis zur Sitzung des Bundeskabinetts an diesem Mittwoch treffen. Sie sei dazu in Abstimmungen mit Innenminister Horst Seehofer (CSU), sagte Merkel nach Angaben von Teilnehmern in der CDU-Präsidiumssitzung in Berlin. Die Bundesregierung strebe weiterhin eine europäische Lösung an.

Deutschland werde einen "substanziellen Beitrag" leisten, da die Menschen auf Lesbos "in einer verzweifelten Situation" seien, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die griechische Regierung habe aber klar gemacht, dass sie die Verantwortung für die Menschen auf Lesbos in erster Linie selbst übernehmen wolle, fügte er hinzu. Seehofer hatte am vergangenen Freitag mitgeteilt, Deutschland werde von insgesamt 400 unbegleiteten Minderjährigen, die aus Griechenland in andere europäische Länder gebracht werden sollen, 100 bis 150 Jugendliche aufnehmen. Außerdem wolle man in einem zweiten Schritt mit Athen über die Aufnahme von Familien mit Kindern sprechen.

Der Koalitionspartner SPD forderte eine bundesweite Initiative für die Aufnahme von deutlich mehr Migranten aus dem abgebrannten Lager Moria als geplant.