So manch Arbeitgeber steht vor einem Paradoxon: Österreich erlebt die größte Teuerungswelle seit 70 Jahren, doch viele Menschen reduzieren Arbeitszeit. Schlagwörter wie Homeoffice und 4-Tage-Woche machen die Runde. Betriebe springen auf den Trend auf, um sich auf dem leer gefegten Arbeitsmarkt einen Vorteil auf der Suche nach Personal zu verschaffen. Wie schwierig diese Suche aktuell ist, arbeitete auch die Agenda Austria in einer Untersuchung ("Wegen Personalmangels geschlossen") heraus.

Dauerte es zwischen 2008 und 2018 noch 20 bis 40 Tage, bis eine offene Stelle besetzt werden konnte, sind es heute 60 bis 80 Tage. Tendenz steigend. Akut sind vom Mangel die Metall-Elektroberufe, der Tourismus und der Handel betroffen. Allerdings wird die Liste der sogenannten Mangelberufe von Monat zu Monat länger. Plötzlich finden sich darauf nicht nur Techniker und Technikerinnen, sondern auch die Kassierin im Supermarkt oder der Friseur. Vieles davon hat mit der Alterung der Gesellschaft zu tun. Einiges aber auch, weil Ansprüche von Arbeitgebern und künftigen Arbeitnehmern nicht mehr zusammenpassen wollen.
Die aktuelle Eintrübung der Konjunktur ändert grundsätzlich noch nichts am Befund, dass Arbeitsuchende im Vorteil sind.

Niedrigste Arbeitslosenrate seit 14 Jahren

Die am Montag publizierte Arbeitslosenquote befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit 14 Jahren. Bei steigender Beschäftigung stehen den 306.000 Arbeitslosen im Land 129.000 beim AMS gemeldete offene Stellen gegenüber. Vor Beginn der Coronapandemie lag der Höchststand bei knapp 80.000 vakanten Jobs. Ersten Schwarzmalern erteilt AMS-Chef Johannes Kopf auch deswegen eine vehemente Abfuhr. "Unsere Zahlen zeigen einen noch immer starken Arbeitsmarkt", sagt er. Selbst Frühindikatoren wie der Zugang an offenen Stellen oder die Jobsituation bei Leiharbeitsfirmen würden weiter auf hohe Stabilität hindeuten. Zwar rechnet auch der AMS-Chef mit einer "deutlichen Abschwächung" des Wachstums, prognostiziert aber zugleich "eher eine Stabilisierung der Arbeitslosigkeit als einen sprunghaften Anstieg".

Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der Arbeiterkammer, erwartet bereits zum Jahresende einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit in Österreich. "Aufgrund des Verlustes der Kaufkraft, des pessimistischeren Verhaltens der Unternehmen, der Lieferengpässe und der Energiekrise wird sich die Lage verschlechtern", sagt Hofbauer. Aber "die Personalsuche wird weitergehen", betont sie.

Doch selbst eine Rezession ab 2023 – und eine damit einhergehende Reduktion des Arbeitskräftebedarfs – könnte die demografische Lücke nicht lange überdecken. Will die Wirtschaft nach einer Krise wieder Tritt fassen und stark wachsen, braucht sie mehr Arbeitskräfte. Auch Johannes Kopf weiß um die alternde Gesellschaft und die damit einhergehenden Herausforderungen. Zugleich verweist er auf die noch immer stattfindende "Ausweitung des Arbeitskräfteangebots". Das habe mit Zuwanderung zu tun, aber auch mit der anstehenden Erhöhung des Regelpensionsalters für Frauen. Kopf: "Ab 1. Jänner 2024 steigt das Frauenpensionsalter jedes Jahr um ein halbes Jahr. Das sind 20.000 zusätzliche Menschen auf unserem Arbeitsmarkt." Nicht zuletzt könnte das wachsende Angebot der Kinderbetreuung künftig ein erhebliches Arbeitskräfteangebot freisetzen.

"Gute Bezahlung" vor "sonstigen Bedürfnissen"

Bei aller Veränderung am Arbeitsmarkt bleibe dennoch einiges unverrückbar, bemerkt Silvia Hofbauer. "Das Wichtigste an einer Arbeit ist, dass man davon leben können muss. Dieses Motiv gilt für alle – von alt bis jung. Das darf man nicht vergessen", pocht die AK-Expertin darauf, dass "gute Bezahlung" auch in einer sich verändernden Arbeitswelt noch vor "sonstigen Bedürfnissen" gereiht werde.

Es gehe "nicht um weniger Arbeit, auch den Jungen nicht", widerspricht die Expertin aktuell gängigen Einschätzungen. Es ginge aber sehr wohl darum, dass Arbeitszeitmodelle geschaffen werden, die so wichtige Bedürfnisse wie Betreuungspflichten, freiwilliges Engagement und die Weiterbildung berücksichtigen, so Hofbauer. "Das wird immer wichtiger, wenn wir mehr Menschen etwa in die Pflege oder in die Pädagogik bringen wollen." Dazu kämen noch wesentliche Punkte wie das Arbeitsklima und die Wertschätzung im Betrieb. "Der Unterschied ist, dass die junge Generation dies stärker formuliert und einfordert."