Beim Erneuerbaren-Ausbau in Österreich darf keine Zeit verloren gehen, betonten Vertreter der Stromwirtschaft am Dienstag. Bis 2030 ist eine Verdopplung der Erneuerbaren-Kapazität geplant. Hinzu kommt der wegen der Klimaziele auch bei Verkehr und Wärme erforderliche Rückzug aus fossilen Energieträgern. Damit Österreich sich bei Bedarf mit günstigem Strom eindecken kann, fehlen geeignete grenzüberschreitende Leitungsverbindungen, kritisierte APG-Vorstand Gerhard Christiner.

Voriges Jahr sei Strom in Österreich um 10 Euro pro Megawattstunde (MWh) teurer gewesen als in Deutschland, hochgerechnet auf den heimischen Jahresverbrauch von 70 TWh seien das 700 Millionen Euro, rechnete der technische Vorstandsdirektor des Übertragungsnetzbetreibers Austrian Power Grid (APG) vor. Derzeit liege der Spread – also die Preisdifferenz – sogar bei 30 Euro je MWh, woraus sich 2,1 Milliarden Euro errechnen würden, "nur weil wir es nicht schaffen, die Leitungskapazität herzustellen". Auch Netzstützungen, das teure Redispatch, wäre bei ausreichend starken Leitungen nicht mehr nötig. Christoph Riechmann, Energieexperte von Frontier Economics, sprach dazu von 400 Millionen Euro im Jahr in Österreich.

In der Stromerzeugung sei Österreich "in der unangenehmen Lage", dass es noch immer eine Abhängigkeit von Gaskraftwerken gebe. 2021 seien von den 70 TWh Gesamtverbrauch rund 10 TWh aus Gaskraftwerken gekommen, samt Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung. Damit rücke angesichts des Kriegs von Russland gegen die Ukraine auch die Stromversorgung in den Fokus, sagte Christiner – und fast wortident auch Verbund-Generaldirektor Michael Strugl.

Absicherung der Stromversorgung

Bisher sei Gas einfach geliefert worden. Man könne sich nicht ausmalen, was passiere, wenn nun alle über den Sommer versuchen werden, die erforderlichen Gasmengen für ausreichende Speichervorräte im Herbst zu beschaffen, so Strugl bei einer Verbund-Diskussionsveranstaltung. Haushaltskunden seien besonders geschützt und würden immer prioritär versorgt. Als nächsten Schritt sollte man sich aber die Absicherung der Stromversorgung mit Gas überlegen.

Riechmann betonte in seiner Keynote, Österreich müsse sich von den fossilen Energien lösen – "insbesondere von solchen aus Russland". 32 TWh derzeit fossiler Strom in unserem Land sollten künftig erneuerbar werden. Beziehe man aber Raumwärme, Prozesswärme und den Verkehr mit ein, so müsse bezogen auf den Endenergieeinsatz in Österreich ein jährliches Volumen von 160 TWh ersetzt werden, so Riechmann. Denn bei Raumwärme sei der Anteil von Öl und Gas sehr hoch, bei Prozesswärme dominiere Öl, es werde aber auch Kohle genutzt, und im Verkehr sei Öl dominant. Die heimische Stromerzeugungskapazität von aktuell 10 Gigawatt (GW) Leistung müsse wohl noch um 8 GW erhöht werden.

Vor allem die Winterbedarfs-Spitzen seien in Zukunft "enorm". Bisher habe es dafür wie in Deutschland auch in Österreich Erdgas als Rettungsanker gegeben, mit einer direkten Abhängigkeit von Russland von 50 Prozent beim Nachbarn und zwischen 65 und 95 Prozent hierzulande, so Riechmann. Meist werden für Österreich 80 Prozent genannt.

Erdgas wäre theoretisch ersetzbar

Es werde jedoch auch dieses Erdgas, das es als Rettungsanker gebe, zu ersetzen sein, zum Beispiel mit verflüssigtem Erdgas (LNG) etwa aus der Golfregion oder den USA. Die bestehenden Terminals in Italien, Spanien und an der Nordsee-Küste seien noch nicht ausreichend, meinte der Frontier-Economics-Experte. Auch sei unklar, wie viel Gas man überhaupt nach Europa bekomme bzw. in welchen Mengen man es von Süd- nach Nordeuropa transportieren könne.

Großes Potenzial komme dabei auch in Österreich grünem Wasserstoff zu – die Schätzungen bezüglich einer heimischen Erzeugung lägen zwischen einer und 14 TWh im Jahr, meinte Riechmann. Das reiche aber bei Weitem nicht, denn langfristig seien 50 bis 70 TWh Erdgas zu ersetzen. Auch Verbund-Chef Strugl geht davon aus, dass nur ein Teil des in Österreich benötigten Wasserstoffs hier produziert werden kann. Bei den Importen sollte man sich aber nicht zu stark von einem Herkunftsland abhängig machen. Zu wettbewerbsfähigen Kosten sei dies wohl nur in windreichen Regionen möglich, etwa Nordeuropa oder Nordafrika. Früher sei auch immer wieder die Ukraine als geeignet angesehen worden.

EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna geht davon aus, dass durch den Ukraine-Krieg der inflationäre Druck durch die hohen Energiepreise weiter steigen wird. Erst vor drei Wochen habe ihr Institut die Wachstumsprognose für Österreich für heuer um 1,7 Prozentpunkte heruntergesetzt, das decke sich mit der Wifo-Prognose. Nach und nach würden neue Energielieferverträge für Unternehmen teurer werden. Dabei sei an den Energiemärkten die Preisdifferenz zwischen Europa und Nordamerika hoch – Gas koste in den USA nur ein Fünftel oder Sechstel des Preises bei uns.