Am Freitag vor 25 Jahren haben Sie in der ersten Runde von Paris mit einem Fünfsatz-Triumph über den damaligen Weltranglisten-Zweiten Pete Sampras einen Sensationssieg gelandet. Welche Erinnerungen haben Sie noch daran?
GILBERT SCHALLER: Ich war damals gut in Form, reiste mit einem Viertelfinaleinzug in Bologna an. Als ich die Auslosung gesehen hatte, war ich nicht geschockt. Ich dachte mir, ich bin gut in Form und Sand ist nicht sein Lieblingsbelag. Also werde ich ihn schlagen.

Und so kam es dann auch.
SCHALLER: Wichtig war, dass mein Return funktioniert und er bei seinem Service kämpfen muss. Sobald ich im Ballwechsel drinnen war, habe ich seine Rückhand massiert. Und meine Passierbälle waren bei seinen Netzattacken auch sehr effektiv. An diesem Tag hat einfach alles gepasst, es war neben dem Triumph 1997 im Davis Cup gegen Kroatien, wo ich in Graz Goran Ivanisevic geschlagen habe, der schönsten Siege in meiner Karriere.

In der zweiten Runde kassierten Sie dann aber gegen Scott Draper wohl eine Ihrer bittersten Niederlagen.
SCHALLER: Definitiv. Ich hatte beim Stand von 6:4, 6:4, 5:4 und eigenem Aufschlag Matchball. Da nahm er eine Rückhand im Aufsteigen und schaffte einen sensationellen Schlag. Danach kippte die Partie und ich verlor mit 6:8 im Fünften. Schade, denn das Feld wäre offen gewesen, ich hätte bei dem Turnier weit kommen können. Aber so ist Tennis eben.

Thomas Muster hat das Turnier damals gewonnen und Österreichs bis heute einzigen Grand-Slam-Titel erobert. Haben Sie das noch mitverfolgt?
SCHALLER: Natürlich. Er hat in diesem Jahr auf Sand quasi alles gewonnen und war für mich daher auch der logische Paris-Sieger.

Kommen wir in die Gegenwart: Was machen Sie derzeit?
SCHALLER: Bei mir läuft alles perfekt. Ich lebe in Wien und bin im Jänner zum zweiten Mal Vater geworden. So gesehen hat die Corona-Krise für mich auch etwas Positives, denn normalerweise wäre ich nicht so viel zu Hause.

Sie waren bis 2011 Österreichs Davis-Cup-Kapitän und ÖTV-Sportdirektor, danach ist es ruhig um Ihre Person gewonnen. Sind Sie noch immer im Tennis tätig?
SCHALLER: Ich bin seit 2014 bei der McCartney-Group im Tennisbereich als Sportdirektor tätig und war bis vor zwei Jahren Assistenz-Coach beim kasachischen David-Cup-Team. Heute kümmere ich mich vorrangig um den Ägypter Mohamed Safwat, der derzeit auf Platz 131 in der Weltrangliste steht. Zusätzlich stehe ich auch anderen Spielern wie etwa Tristan-Samuel Weissborn beratend zur Seite.

Haben Sie noch Kontakt zum ÖTV?
SCHALLER: Nein, überhaupt nicht. Ich bin heute völlig unabhängig und das ist mir nach den Erfahrungen, die ich beim ÖTV gemacht habe, auch extrem wichtig. Da gibt es keine Querschläge, da gibt es kein Politikum. Und wenn ich mir ansehe, wie zerfahren die Situation beim österreichischen Verband ist, war es die absolut richtige Entscheidung, mich vom ÖTV zu lösen.

Sie schafften es in Ihrer Karriere bis auf Platz 17 und sind gemessen an der Weltrangliste nach Muster, Thiem und Melzer der vierterfolgreichste Österreicher. Glauben Sie, dass Thiem Legende Muster bald übertrumpfen wird?
SCHALLER: Dominic hat sich in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren stark verbessert – vor allem auch, was die Spielgestaltung betrifft. Zudem kommt er mit seinen 26 Jahren in das beste Tennisalter. Federer, Nadal und Djokovic werden nicht jünger und die Jungen sind in ihrer Entwicklung noch nicht so weit. Da besteht also eine Lücke, die Dominic nützen kann. Ich traue ihm auf alle Fälle noch einiges zu. Und über den Wert, den er für das österreichische Tennis hat, brauchen wir nicht zu diskutieren. Der ist unbezahlbar.

Wird die ATP-Tour heuer noch fortgesetzt?
SCHALLER: Paris wird um die Austragung Ende September kämpfen. Klappt das nicht, sehe ich eher schwarz.