Dominic Thiem hat heute in London, genauer gesagt in Hurlingham,  bei einer Exhibition gegen den Australier Nick Kyrgios den einzigen Härtetest vor den „All England Lawn Championships“ in Wimbledon. Vor seiner Reise nach London nahm er sich eine Auszeit, war Gast der Weinkost der Kleinen Zeitung am Pogusch – und fand Zeit für ein Gespräch.

Sie haben nach dem Paris-Finale wegen „Erschöpfung“ eine Auszeit genommen. Wie kam es zum Umdenken?
DOMINIC THIEM: Ich habe das wegen der Erfahrung des vergangenen Jahres gemacht. Da wurde mir eine Pause dringend angeraten, aber ich wollte unbedingt in Halle spielen, weil das Turnier echt cool ist. Aber ich wollte denselben Fehler nicht noch einmal machen. Also habe ich abgesagt, das ganze System runtergefahren. Und nach dem Urlaub habe ich dann die ganze Konzentration auf Wimbledon gerichtet – ohne Turnier, aber mit der Exhibition davor.

Wie verlief die Vorbereitung? Rasentennis gab es nicht, oder?
Es gibt in der Nähe der Südstadt keinen Rasenplatz, stimmt. Ich hab das Fitnesstraining auf Rasen gemacht, ein paar Volleys dazu. Tennis spiele ich auf Hartplatz, das ist dem Spiel auf Rasen nicht so unähnlich. Im Prinzip gibt es nur einen Unterschied: das Rutschen. Auf Rasen macht das ja nur der Djokovic. Deswegen ist die Beinarbeit so wichtig.

Sie gelten als Sandplatz-Größe, dabei haben Sie auf jedem Untergrund gewonnen. Wie sehr gefällt Ihnen das Spiel auf Rasen?
Es macht mir richtig Spaß! Vor drei Jahren hatte ich mit dem Sieg in Stuttgart und dem Halbfinale in Halle eine richtig gute Saison, vor zwei Jahren war ich in Wimbledon in der vierten Runde. Es geht also was. Im Vorjahr habe ich dann eben den Fehler gemacht, nach Paris nicht zu pausieren. Rasen ist Aufschlag-lastiger, logisch. Und alles ist enger. So eng, dass es dir passieren kann, dass du eine gute Partie spielst, aber drei Mal im Tiebreak verlierst.

Sie gelten als Mensch, der Traditionen schätzt. Wo rangiert Wimbledon für Sie?
Ich finde im Grunde alle Turniere auf der Tour sensationell. Die vier Grand Slams sind aber besonders. Wimbledon? Es hat seine Eigenheiten, im positiven Sinn. Da gibt es den spielfreien Sonntag, es gibt keine Werbung auf den Banden, dann ist da die weiße Kleidung. Dinge, die wohl ewig so bleiben – und schon cool sind.

Und der Centre Court mit der Royal Box? Ein besonderer Reiz?
Ich habe ja noch nie dort gespielt! Eines kann ich versprechen: Ich werde alles geben, damit sich das ändert! Heuer will ich endlich auf den Centre Court. Dann gibt es auch eine Einschulung, wie man sich vor der Box zu verhalten hat, glaube ich zumindest. Im Vorjahr durfte ich mit Prinzessin Kate sprechen. Cool, wenn man so jemand erstmals kennenlernt.

Was ist sportlich für Sie der Unterschied zu Paris, wo Siege schon fast vorausgesetzt werden?
Ich habe schon in Paris gesagt, dass ich mich nie nur auf Paris versteifen will. Es gibt jede Woche einen Höhepunkt auf der Tour, Wimbledon ist zweifellos der prestigeträchtigste. Und ich weiß wohl, dass hier mehr möglich ist als in Paris – und zwar im negativen Sinn.

Wie ist das gemeint?
Es gibt in den ersten Runden sehr viele Gegner, die richtig unangenehm sind. Nehmen wir Kyrgios oder Tsonga. Das sind echt große Brocken. Da hoffe ich schon, dass man denen aus dem Weg gehen kann. Klar ist einfach: Es wird für mich sicher schwerer als in Paris.

Und abseits des Platzes? Mögen Sie Wimbledon?
Was mir echt taugt: Obwohl das Turnier so groß und spektakulär ist, ist es zugleich ruhig, fast heimisch. Fast alle Spieler mieten sich ein Haus in der Nähe der Anlage. Und es macht halt einen Unterschied, ob du jeden Tag ins Hotel oder nach Hause kommst. Man fühlt sich trotz des Trubels einfach wohl.

Ändert sich das Leben als Nummer vier der Welt noch immer?
Mittlerweile kennen mich die meisten Leute ... Aber die meisten sind nett und freundlich, also passt das schon. Für mich ist ohnehin etwas anderes fast wichtiger als mein Sport: Ich will Kinder zum Tennissport bringen! Wenn ich da was bewegen kann, habe ich viel erreicht. Und Tennis ist ja gesund – wenn man es nicht gerade als Leistungssport betreibt.

Aber Sie müssen doch weit öfter „Nein“ sagen als früher, oder?
Und das fällt mir nicht leicht. Aber dafür habe ich jetzt Herwig (Manager Herwig Straka, Anm.), der das echt gut macht. Ich selbst würde viele Dinge gerne machen, aber alles geht sich nicht aus. Am Ende des Tages ist es schon wichtiger, dass ich ausgeruht bin und meine Leistung bringen kann. Fehlt die, gäbe es ja auch keine Einladungen mehr, das geht schnell.

Apropos schnell: Kurze Rückblende zu Paris, dem Finale, der Niederlage. Wie lange hat es gebraucht, um die abzuhaken?
Ich war richtig enttäuscht, weil ich einfach alles gegeben habe, was ich hatte – über zwei Wochen. Dann ist da plötzlich Leere. Extreme Enttäuschung, weil es wieder nicht gereicht hat. Es war eine super Leistung von mir, zwei super Wochen mit dem vielleicht größten Sieg meiner Karriere gegen Djokovic. Aber am Ende habe ich doch verloren, war wieder nur Zweiter. Das hat schon ein paar Tage angehalten.

Eine Niederlage in Wimbledon wäre also nicht so schlimm?
Ich würde lügen, würde ich das nicht zugeben. Es war ein Grand-Slam-Finale, in dem du ganz nah dran bist, dir einen Lebenstraum zu erfüllen ... Das schmerzt. Manche Niederlagen tun einfach mehr weh. Aber dann kommt die Erkenntnis, dass man es nicht mehr ändern kann. Ich werde es nächstes Jahr wieder probieren.

Noch eine Rückblende: Die Trennung von Günter Bresnik, war die Produkt einer Abnabelung?
Es hat ein paar Gründe gegeben, eine war der Abnabelungsprozess. Ich will eine eigene Persönlichkeit sein, klar. Am Platz, aber auch abseits davon. Ich musste eine eigene Persönlichkeit werden, schon weil Tennis und Persönlichkeit zusammenhängen. Du musst im Leben eigenständig sein, um das auch auf dem Platz rüberzubringen. Meine Lösung war, ein neues Team aufzustellen.

Sie gelten als sehr beliebt, auch auf der Tour, immer nett, immer freundlich, immer fair. Sind Sie nicht zu nett für Erfolg?
Nein! Ich bin, wie ich bin. Ich habe mich nie verstellt, und ich fange damit jetzt erst recht nicht an. Wenn mich alle mögen, freut mich das. Das Gute am Tennis ist: Ich muss mich nicht scheiße verhalten, ich muss kein Arsch sein. Ich kann mit meinen Mitteln jeden schlagen. Genau das ist es, was mir am Tennis gefällt. Da will ich mich charakterlich nicht verstellen – ich muss „Ugly Winning“ von Brad Gilbert nicht lesen. Ich bin das einfach nicht.