Ab Samstag herrscht im Radsport wieder Alarmstufe Rosa. Mit einem Einzelzeitfahren in Turin wird die 104. Auflage des Giro d'Italia eröffnet, für Felix Großschartner schließt sich beim italienischen Klassiker immer wieder ein wenig der Kreis. In jenem Land, wo um "la maglia rosa", das rosa Trikot, gefahren wird, hat der Oberösterreicher im Jugend-Alter den Radsport lieben gelernt. "Ich war in einer Ski-Hauptschule und habe mir beim Skifahren das Schienbein gebrochen. Als der Gips abgenommen wurde, durfte ich nur radfahren und wurde vom Welser Nachwuchs nach Italien mitgenommen", erzählt der 27-Jährige heute. An die erste Ausfahrt erinnert er sich gut. "Ich hatte Riesenhunger während der Fahrt. Typischer Anfängerfehler", erzählt er und lacht, "aber es hat mir voll getaugt".

Heute ist sein Hobby längst sein Beruf, der Giro d'Italia kommt dem Kletterspezialisten heuer entgegen: Auf 21 Etappen und 3480 Kilometern stehen 47.000 Höhenmeter und sieben Bergankünfte auf dem Plan. Großschartner hat die Ambition, eine Etappe zu gewinnen. Mit dem Sieg am letzten Tag der Tour of the Alps hat Österreichs Radsportler des Jahres 2020 bewiesen, dass dieses Vorhaben nicht unrealistisch ist. "Ich bekomme auf den Etappen viele Freiheiten. Ich bin auch froh darüber, ich habe es leistungstechnisch drauf. Ein Tagessieg wäre ein Traum und würde mir auch mehr gefallen als zum Beispiel ein achter Gesamtrang", sagt Großschartner.

Neben dem Profi vom deutschen Team Bora-hansgrohe tritt mit Matthias Brändle (Team Israel Start-Up Nation) ein zweiter Österreicher in die Pedale. Im Bora-Team fährt nur Giro-Kapitän Emanuel Buchmann (GER) um einen Spitzenplatz im Gesamt-Klassement. Seine großen Konkurrenten und Anwärter auf den Gesamtsieg sind wohl Simon Yates (BikeExchange, GBR) und Egan Bernal (Ineos) - wenn der Kolumbianer seine Rückenprobleme in den Griff bekommt. Entscheiden wird sich die Rundfahrt, die auf der 15. Etappe Slowenien passiert, erst in den letzten Tagen: vier der letzten sieben Teilstücke enden mit einer Bergankunft. Die 14. (Königs-) Etappe führt auf den Monte Zoncolan, 30 Kilometer Luftlinie von der österreichisch-italienischen Grenze entfernt. 

Auf welchen Etappen könnte Großschartners Traum vom Tagessieg wahr werden? "Das wird kurzfristig entschieden. Wir müssen schauen, wo mich der Kapitän nicht braucht." Und doch hat Großschartner die Etappen in Kopf, kennt ihre Tücken - und seine Chancen: "Die vielen Bergankünfte kommen mir entgegen. Oder Etappen, bei denen es nach dem Berg bergab in das Ziel geht. Die zwölfte wäre so eine."

Wichtig, sagt der 1,83 Meter große und 65 Kilo leichte Kletterer, wird sein, dass er sich traut. Dass er die Chance ergreift, wenn sie da ist. Bei einem Klassiker wie diesem "kommt man in einem Flow", sagt er, von dem könne man getragen werden. Einen Fehler wird er jedenfalls nicht mehr machen: In Italien hungrig auf dem Rad zu sitzen. "Pizza wird es während der Rundfahrt aber keine geben", sagt er. Höchstens, und hoffentlich, aber danach - zur Belohnung.