Lukas Pöstlbergers Welt beschränkt sich aktuell auf ein schmuckes Hotelzimmer in Belgien. Der Berufsradfahrer vom Team Bora ist als Kontaktperson in Quarantäne und hält sich auf der Rolle fit. Am Sonntag wird er dann bei der Flandern-Rundfahrt wieder im Feld zu sehen sein und Superstar Peter Sagan unterstützen.

Wann wird das "Homeoffice" beendet?
LUKAS PÖSTLBERGER: Voraussichtlich geht es bis Freitag. Am Donnerstag habe ich noch einen Covid-Test, aber die Auswertung dauert dann wahrscheinlich zwölf Stunden und dann bin ich hoffentlich wieder frei.

Dann Vollgas?
Das was halt da ist. Ein bisschen muss man schauen, wie die Haxen sind.

Statt sich die Schlüsselstellen anzusehen und zu trainieren, sitzen Sie im Hotelzimmer?
Ja. Ich sitze im Hotelzimmer auf dem Rad und fahre herum. Ich habe zwar einen kleinen Ventilator, aber es ist relativ warm im Zimmer und da dehydriert man sehr stark. Länger als drei Stunden ist nicht gesund.

Und die Intensität?
Die Grundlagenausdauer ist eh da. Im Endeffekt muss man die Intensität ein bisschen erhalten und fährt ein paar V02max- und Kraft-Intervalle. So, dass es weh tut, man sich aber nicht 'umbringt'.

Aber der "Grant" ist nicht gerade klein?
Nein, ist er nicht!

Eine Spielkonsole ist im Zimmer?
Ja. Eine Xbox.

Sie sind Berufsradfahrer, aber auch ein richtig guter Gamer. Ist Computerspielen Sport?
Es gibt auf jeden Fall Koinzidenzen. Ich habe früher semiprofessionell gespielt und da trifft man sich schon drei Mal in der Woche zum Training und spricht die Taktiken durch. Das hört sich vielleicht futuristisch und surreal an. Wir waren 17, 18 Jahre und das hat eine Routine hineingebracht und eine Ernsthaftigkeit, die man als junger Mensch so vielleicht nicht hat. Es hat einen Stellenwert, aber ich würde es nicht mit körperlichem Sport vergleichen. Eine mentale Herausforderung ist es auf jeden Fall.

Es wird aber oft als Blödsinn abgetan...
Es entsteht sicher eine Reizüberflutung. Das habe ich auch gemerkt. Wenn du ein Wochenende lang immer vor der Xbox oder der PlayStation sitzt, kannst du nicht mehr schlafen. Dann holt dich das immer wieder ein und im Schädel rennen die Manschgerln durch die Gegend. Das ist beim Radfahren auch so: Wenn ich bei der Tour de France bin, schmeißt es mich im Traum am zweiten Ruhetag auch (lacht).

Wenn es im Peloton zur Sache geht, kommt es also auch zu einer Reizüberflutung?
Auf jeden Fall. Aber seitdem ich Papa bin, spiele ich nur noch, wenn ich auf der Rolle sitze. Bei Intervallen geht es zwar nicht, aber wenn ich im Grundlagenbereich fahre schon. Ich mache das ja schon jahrelang und wenn man sich neben dem Treten auch noch konzentrieren muss, ist das eine mentale Challenge. Das zu kombinieren, ist nicht so blöd.

Und wie ist es, als Papa so viel unterwegs zu sein?
Es hat alles seine Vor- und Nachteile, aber es ist schon hart. Durch Videotelefonie und Social Media ist man relativ nahe, obwohl man so weit weg ist. Aber natürlich ist es eine Herausforderung, vor allem, weil sich bei ihm so viel tut. Er ist jetzt zwei und das ist ein Alter, in dem so viel passiert. Über Videotelefonieren bekommt man zwar viel mit, auch wie er dich wahrnimmt. Wenn ich ihn dann aber sehe, hochhebe und er hat wieder ein Kilo mehr, ist das schon ganz was anderes. Aber dafür hat man eben sein Hobby zum Beruf.

Soll er Radfahrer werden?
Meinetwegen nicht.

Oder doch Gamer?
Er darf gerne seinen eigenen Weg gehen. Ich will nicht, dass er mir in irgendeiner Weise nacheifert. Er muss nicht in meine Fußstapfen treten – das haben meine Eltern mit mir auch nicht gemacht. Er ist einzigartig und darf tun, was er will.

Erfolge zählen im Radsport immer mehr. Jedes Rennen könnte in der Pandemie das letzte sein, Verträge laufen aus. Wie schwierig ist es sich, in die Helferrolle zu stellen?
Momentan ist es so, dass wir happy sein müssen, dass wir den Sport überhaupt haben. Es gibt viele Sportler, für die es aktuell sehr schwierig ist, in die Zukunft zu sehen. Die haben zuvor schon wenige Aufmerksamkeit bekommen und Corona hat das nicht besser gemacht. Sich dann wieder eine Lobby aufzubauen, ist extrem viel Arbeit. Freunde von mir fahren Kanu, die hatten im Vorjahr einen Wettkampf und der war EM und Olympia-Qualifikation gleichzeitig. Ein Wahnsinn. Da müssen wir uns glücklich schätzen.

Wie sind die eigenen Ambitionen?
Klar habe ich die und ich will mich auch zeigen. Doch wenn die Mannschaft erfolgreich ist und Ziele erreicht, sichert es meinen Arbeitsplatz genau so ab. Ich werde geschätzt und bekomme die Anerkennung, die ich verdiene. Hier arbeitet jeder hart, das ist kein Kindergeburtstag. Da steckt man seine Ambitionen auch zurück, wenn man sich auch einmal gut fühlt und es gut gehen würde. Das große Ziel im Hinterkopf ist bei mir sehr präsent. Aber ich muss auch ehrlich sagen, dass ich für die Klassiker hohe Ambitionen hatte und ich bin auch so stark wie noch nie.

Es wird aktuell aber schon sehr brutal gefahren?
Es ist ein Wahnsinn. Das Niveau im Feld hat sich immens weiterentwickelt und ist so hoch wie noch nie. Ich habe geglaubt, dass ich einen Entwicklungssprung gemacht habe. Im Endeffekt bin ich genau dort, wo ich vorher war, denn alle anderen sind auch stärker geworden.

Sieht es nur auf dem Bildschirm so aus, oder wird wirklich permanent von Beginn weg schnell gefahren?
Das sieht nicht nur so aus - und das ist auch dem Material geschuldet. Es wirkt sich eben alles aus und an der Spitze sind zwei Prozent eine Welt. Wenn Superstars wie Mathieu van der Poel oder Wout van Aert da sind, motiviert das auch, wenn man sieht, wo sie die Energie hernehmen und sie sich fokussieren. Und: Es ist nicht gesagt, dass man nur 60 Kilogramm haben muss, um einen Berg schnell hinauf zu fahren (lacht). Es wird immer schneller und die Leute werden immer stärker - auch, weil sie bei den Junioren schon professionell trainieren.

Bei ihrem Team Bora sind Nils Polit und Peter Sagan die Kapitäne am Sonntag. Sagan ist zuletzt wieder gut in Form gekommen. Stimmen die "Haxen"?
Er hat eine gute Haxen und wenn er jetzt noch Luft dazu lässt… Er ist ein Fahrer der alten Schule, aber das Rennen hat sich komplett verändert. Es wird den ganzen Tag voll runter getreten und damit kommen viele alte Profis nicht zurecht. Es ist jetzt nicht mehr so, dass wenn du Sagan heißt, alle Leute Platz machen und dich vorlassen. Die hauen ihm die Türe genau so zu, wie irgendeinem kleinen Conti-Fahrer. Es ist ein permanenter Fight. Das hat sich in den letzten Jahren so entwickelt und war am Anfang ein bisschen ein Schock für die alte Garde. Darauf mussten sie sich erst einstellen und einlassen. Und Peter braucht auch einen Haufen Rennen, dass sein Körper in Schwung kommt. Aber ich glaube, dass es bei ihm gut läuft.

Olympia steht im Sommer an. Ein Thema?
Für mich nicht. Der Kurs ist für mich unrealistisch. Da geht es nur bergauf-bergab und da will ich keinem den Platz wegnehmen. Das wäre für mich nur Prestige, dass ich sagen kann, ich war bei Olympia. Der Olympische Gedanke ist nett, aber da sollen andere fahren, bevor ich mich aufdränge.

Wie schauen die kommenden Tage aus?
Am Sonntag werde ich starten – vorausgesetzt der Test ist negativ und dann geht es einmal zu meiner Familie nach Hause. Bevor dann die Tour of the Alps losgeht.