Die letzten zwei Viertelfinaltage waren nichts für schwache Nerven. Eine hochemotionale Winterweltmeisterschaft, bei der unzählige Tränen der Freude, aber auch der Trauer vergossen wurden. Die internationale TV-Regie bringt den Zusehern die Emotionalität des Sports, dem freien Lauf der Gefühle, ungefiltert ins Wohnzimmer. Große, starke Männer, die plötzlich wieder Kind sein dürfen. Beim Ausscheiden von Japan und Brasilien hätte es mich selbst schon fast erwischt. Die Tränen von Cristiano Ronaldo im Spielertunnel, sie sind wahrscheinlich Sinnbild für das Abdanken einer der prägendsten Persönlichkeiten des Fußballs der letzten zwei Jahrzehnte.

Der Traum vom „Hexa“, vom sechsten Titelgewinn der Seleção, wurde vom unbändigem Teamgeist und vom unglaublichen Schlussmann der Kroaten zunichtegemacht. Dominik Livakovic, der wahre Hexer, vereitelte sage und schreibe 20 Chancen der Brasilianer. Mich würde nicht es wundern, wenn man als steirischer Badetourist an der Adria in Bälde seinen Namen auf diversen Straßenschildern sehen wird. Meines Erachtens sollten es Einbahnstraßen sein – den bei diesem Tormann ist Endstation. Seine Antizipation von gefährlichen Spielsituationen ist „Prädikat Weltklasse“.

Und: Die kroatischen Volkshelden haben den Deutschen den Titel „die Turniermannschaft“ abgeluchst. Mit einem vielleicht anderen, destruktiveren Spielstil, aber mit einem Glauben, der Berge versetzt: ein Torschuss in 120 Minuten genügte. Die unglaubliche Statistik der Kroaten und das extrem geladene „Farbenspiel“ zwischen Niederlande und Argentinien sorgten bei mir für eine schlaflose Nacht.

Und dann wurde das „Wunder von Doha“ gestern schon wieder neu geschrieben: Wie selbstverständlich zogen die Marokkaner als erste afrikanische Mannschaft in ein WM-Halbfinale ein. Als vermeintlicher Underdog  in das Turnier gestartet, wird das taktische Konzept über volle 90 Minuten beherzt erfüllt, angetrieben von einem „26-KW-Amrabat-Motor“ und einem gefühlt in den vierten Stock hochspringenden Youssef En-Nesyri. Einfach genial, wie viel Intensität in jedem der K.o.-Spiele steckt – und welch Geschichten der Fußball wieder schreibt.

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