Es sind Ziele, die sich Profisportler mit äußerster Präzision über Jahre hinweg setzen. Man investiert sein ganzes Leben für diesen einen wichtigen Augenblick. Doch von einer auf die andere Sekunde zerplatzt dieser Traum wie eine Seifenblase und nichts ist, wie es einmal war. Stabhochspringerin Kira Grünberg kennt genau diesen Moment, der ihr Leben auf einen Schlag veränderte. Seit einem Trainingsunfall im Juli 2015 ist die Tirolerin querschnittgelähmt und sitzt im Rollstuhl.

Aufgeben war für die 27-Jährige trotz ihres Schicksalsschlages nie eine Option. „Plötzlich war meine Sportkarriere vorbei und die große Herausforderung war, neue Ziele zu finden. Im ersten Moment weiß man nicht, was auf einen zukommt. Was ich aber schnell gemerkt habe, war, dass je mehr ich über den Unfall gesprochen habe, desto besser konnte ich es verarbeiten. So blöd es klingen mag, doch ich habe mich nach einer Woche damit abgefunden, dass mein Leben anders werden wird. Wie es sich verändern wird, hat Monate gedauert."

"Ich musste viele Dinge neu erlernen"

Während im Sport Ungeduld oft eine wesentliche Rolle spielt, lernte Grünberg jene Dinge zu schätzen, die für andere Menschen völlig normal erscheinen. Etwa wenn es darum geht, sich mit den Fingern ins Gesicht zu fassen. „Zu Beginn konnte ich wirklich gar nichts, lediglich den Kopf bewegen. Langsam war es möglich, meine Arme ein paar Zentimeter von der Bettdecke anzuheben. Die ersten Wochen waren schwierig. Ich habe lernen müssen, zu essen, Zähne zu putzen, mich anzuziehen“, erzählt sie. „Das alles habe ich in der Reha neu erlernt. Meine Mama hat gemeint, das Wichtigste sei, mich mit dem Rollstuhl einmal von A nach B bewegen zu können. Dass ich nun sogar selbst mit meinen Füßen vom Boden weg auf die Therapieliege gelange, damit habe ich nie gerechnet, wenn ich ehrlich bin. Ich bin viel geschickter geworden, kann meine Haare föhnen und die Fingernägel lackieren – als Frau ein absolutes Muss.“

Inzwischen hat Grünberg einen großen Therapeutenstab um sich – unter anderem eine Ergotherapeutin, die auf Arme und Alltagsdinge spezialisiert ist. „Im ersten Lockdown habe ich zusätzlich die Leidenschaft zum Yoga entdeckt, da mir die Ärzte geraten haben, mich in dieser Phase zu isolieren“, sagt die Leichtathletin des Jahres 2014, die auf ihre Eigenständigkeit immensen Wert legt. „Ein Therapeut trainiert mit mir sogenannte Transfers. Das heißt, dass ich vom Rollstuhl selbst ins Bett komme. Aber da muss ich ständig dran bleiben und fleißig arbeiten. Denn Nachlassen spürt mein Körper nicht gern. Es tut mir gut, wenn ich mich anstrenge und bewege.“

"Ich kann es nicht ändern"

Im heurigen Sommer absolvierte die Tirolerin, die mit persönlicher Assistenz lebt, eine Tour durch diverse Behinderteneinrichtungen mit dem Schwerpunkt Lebenshilfe. „Auf permanente Unterstützung angewiesen zu sein, ist nicht fein, aber ich habe keine Wahl. Das gehört zu meiner Behinderung dazu. Ich kann es nicht ändern. Im Großen und Ganzen ist es beschissen, keine Frage, aber ich versuche es so zu sehen, dass Krisen auch positive Dinge mit sich bringen können.“ Auf Trab hält sie seit knapp vier Jahren ihr Hund Balu, ihr treuer Weggefährte, der ihr im Alltag zur Hand geht: „Er hebt Dinge auf, kann Schubladen öffnen und ist ein super Wärmespender im Bett. Ich möchte ihn nicht mehr missen.“

In ihrer Rolle als Nationalratsabgeordnete blüht die Perfektionistin auf ganzer Linie auf. „Seitdem ich im Rollstuhl sitze, ist mir bewusst, dass nicht alles so barrierefrei ist, wie es sein sollte – allein, wenn es um Behördengänge geht. Ich habe mir gedacht, in diesem Bereich sind die Chancen am größten, etwas zu verändern. Ich will mich dafür einsetzen, dass es Menschen mit Behinderung etwas leichter haben“, erklärt Grünberg.

Die Hoffnung auf Heilung hat die Buchautorin noch nicht endgültig aufgegeben. „Klar, hoffen darf man immer, doch wenn es nicht klappen sollte, bin ich nicht unzufrieden. Ich bin glücklich und ein fröhlicher, zielstrebiger und offenherziger Mensch. Doch ich wäre für jede weitere Funktion selbstverständlich dankbar“, sagt die Naturliebhaberin. Das Gefühl, Schritte zu wagen, kennt sie bereits. Vier Mal durfte Grünberg mit dem sogenannten Exoskelett, einem Roboter, gehen. „Es bewegt meine Beine, aber ich kann es selbst nicht steuern. Es ist lässig, einmal aufrecht zu sein, doch ich lerne damit nicht zu gehen“, offenbart die 27-jährige aus Kematen, die sich in ferner Zukunft eine eigene Wohnung und Familie wünscht.

Ihr „Mister Right“ lief ihr zwar bisher noch nicht über den Weg, „aber was nicht ist, kann ja noch werden. Da stresse ich mich nicht. Es kommt, wie es kommt. Ich habe mein ganzes Leben noch vor mir."