Seit dem Vorjahr ist die Juristin Síofra O'Leary Präsidentin des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR). Am Montag war die Irin Festrednerin beim Verfassungstag, zu dem das Höchstgericht der Republik jährlich lädt. Ihr Vortrag bot vor allem Einblick in Überlegungen zur Weiterentwicklung der EGMR. Anwesend beim Festakt waren der aktuelle Bundespräsident Alexander Van der Bellen, sein Vorgänger Heinz Fischer sowie die Regierungsmitglieder Karoline Edtstadler (ÖVP), Alma Zadić und Johannes Rauch (beide Grüne).

Der EGMR, so O'Leary, sei potenziell die letzte Zuflucht für über 600 Millionen Einwohner des Rechtsraumes des Europarats. Gerade deshalb ist er aber auch mit einem enormen Arbeitsanfall konfrontiert. Gegenwärtig sind laut der Präsidentin 75.000 Beschwerden anhängig – bei nur 46 Richterinnen und Richtern. Auch wenn nahezu drei Viertel der anhängigen Fälle aus Beschwerden bestehen, die sich mit Fragen befassen, zu denen es bereits eine gut etablierte Rechtsprechung gibt, sind auf der Ebene der siebenköpfigen Kammern immer noch nahezu 20.000 Beschwerden anhängig.

Parkstrafe landete vor EGMR

Aus Österreich stammt nur ein quantitativ redundanter Anteil von 0,12 Prozent. Rund 70 Prozent davon würden aus nur vier Ländern, nämlich der Türkei, Russland, der Ukraine und Rumänien, stammen. "Dies streicht heraus, dass in vielen der 46 Staaten die Einbettung der EMRK erreicht wurde, die sicherstellt, dass der Straßburger Gerichtshof nur in Ausnahmefällen eingreift", sagte O'Leary. Kurzfristige Verbesserungen könnten etwa dadurch erwirkt werden, dass Fälle, die kein Mindestmaß an Schwere erreichen, nicht geprüft werden. Sie verwies hierzu auf eine Beschwerde, die aufgrund einer 25-Euro-Parkstrafe vor dem EGMR gelandet war.

Die rechtliche Möglichkeit, Fälle, in denen "kein erheblicher Nachteil" bestehe, nicht mehr zu bearbeiten, bestünde bereits, werde aber vom Gerichtshof wenig genutzt. Eine zweite Überlegung sei es, Mechanismen einzuführen, die dem EGMR erlauben, diejenigen Fälle herauszufiltern und zu priorisieren, die eine "verfassungsrechtliche" Relevanz für die Rechtsprechung haben.

Klimawandel und Klimaproteste

Van der Bellen nahm das Thema zum Anlass, auf die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen die Klimakrise hinzuweisen. Die Implementierung der EMRK im österreichischen Recht sei eine Erfolgsgeschichte, allerdings habe es Jahrzehnte gedauert, bis sie Eingang in die Rechtspraxis gefunden habe, sagte der Bundespräsident. Diese große Zeitspanne stehe bei der Klimakrise nun nicht mehr zur Verfügung. Klimaschutzmaßnahmen würden zwar der Politik und dem Gesetzgeber obliegen, die EMRK könne jedoch helfen, die Dringlichkeit zu erkennen.

Edtstadler sprach im Hinblick auf das "Superwahljahr" 2024 – gewählt wird nicht nur in Österreich und der EU, sondern etwa auch in Russland und der Ukraine – von einer gespaltenen Gesellschaft. Sie betonte die Freiheit der Meinungsäußerung. So müssten etwa die Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation" für die Art ihrer Proteste kritisiert werden dürfen, obwohl sie für ein wichtiges Ziel eintreten würden.