Als Hans Peter Doskozil am Samstagvormittag nach seiner Rede von der Bühne steigt, verlässt Andreas Babler durch den Notausgang den Saal. Eine dreiviertel Stunde hat der burgenländische Landeshauptmann auf der Bühne über sein politisches Programm gesprochen. Das Los hatte ihn am Sonderparteitag in Linz, der über den neuen SPÖ-Vorsitz entscheidet, zum ersten Redner auserkoren. Nach ihm ist der Bürgermeister von Traiskirchen dran, doch jetzt verschwindet er. Nervosität? Kalte Füße? Noch einmal Durchschnaufen vor der Tür? Noch bevor die Moderatorin ihre Überleitung beendet hat, ist Babler wieder im Raum und eilt auf die Bühne. Jetzt gehört sie ihm 45 Minuten lang alleine.

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Vier Stunden später steigt Babler wieder auf die Bühne, um Hans Peter Doskozil zu gratulieren. 53 Prozent der Delegierten haben für ihn gestimmt, Doskozil ist der neue Parteichef. „Überwältigend. Aufwühlend. Ein Lebenstraum“, sagt er. Er verspricht, nicht mit der FPÖ zu koalieren, und schließt auch eine Zusammenarbeit mit der ÖVP aus. Dann bittet er Babler, seinen Kontrahenten, zu sich. Ein Handschlag, eine angedeutete Umarmung. Ein Foto noch, und dann rinnt der Sonderparteitag aus: Verhalten beginnen die ersten Delegierten das „Lied der Arbeit“ zu singen, andere stimmen ein. Bei der ersten Strophe der „Internationale“ haben manche schon die Halle verlassen, andere setzen verspätet ein. Ein unfreiwillig mehrstimmiger Chor singt die Hymne der Sozialdemokraten. Ein Sinnbild für den Zustand der Partei nach den letzten Monaten, die im Parteitag mündeten.

So viele Delegierte wie nie zuvor

In den fünf Stunden zwischen der Eröffnung und der Entscheidung ist viel passiert. 603 von 609 geladenen Delegierten sind nach Linz gekommen, so viele wie noch bei keinem Parteitag je zuvor. 160 Medienvertreter sind da – „So viele, wie sonst nur bei der Fußball-WM“, sagt der scheidende Geschäftsführer Christian Deutsch. Internationale Gäste sind gekommen, ein paar Babys in Kinderwägen.

Schon die Sitzordnung der Delegierten macht deutlich, dass der Konflikt in der Partei real ist.  „Einfache Logistik“, versichert Deutsch, der als letzte Amtshandlung noch den Parteitag organisierte: „Wir haben Sessel gezählt, wer wo am besten unterkommt.“ Ob tatsächlich nur Mathematik oder doch Strategie: das Ergebnis macht die Blöcke sichtbar. Links von der Bühne sitzt am Mittelgang Andreas Babler in der Mitte, neben ihm seine Frau. Daneben die prominentesten Vertreter des viel kritisierten „Parteiestablishments“, die sich bisher klar hinter Rendi-Wagner gestellt hatten: Christian Deutsch, Doris Bures, Michael Ludwig, die Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner. In den Reihen ganz links sitzen die zahlreichen Delegierten aus Wien, dahinter die Gewerkschafter. Bei beiden Gruppen ist Hans Peter Doskozil traditionell nicht gut angeschrieben, und das zeigt sich auch am Parteitag. Während seiner Rede wird hier nur vereinzelt applaudiert, einige schütteln den Kopf.

Sitzordnung nach Blöcken

Der Sitzplatz von Hans Peter Doskozil ist vorne rechts vom Mittelgang, begleitet von seinem Büroleiter Herbert Oschep. Daneben der aus dem Burgenland stammende Bundesratspräsident Günter Kovacs, Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser und der steirische SPÖ-Chef Anton Lang. In den Reihen am rechten Außenrand sind Vertreter der Doskozil-freundlichen Länder platziert: Burgenland, Niederösterreich, Tirol. Hier hält sich die Begeisterung für Andreas Babler sichtbar in Grenzen.

Im mittleren Block sitzen der in seiner Kandidatenpräferenz geteilte Bundesvorstand, sowie Delegierte aus Kärnten, Oberösterreich und der Steiermark. Hier wird mal für den einen, mal für den anderen geklatscht.

Auch nach den Reden der Kandidaten ist das Ergebnis offen. Etliche Delegierte haben sich im Vorfeld nämlich nicht festgelegt, wem sie ihre Stimme geben. Einzig die niederösterreichische Landespartei hat einen Beschluss gefasst, in jedem Fall den Gewinner der Mitgliederbefragung zu wählen und wird demzufolge für Hans Peter Doskozil stimmen. Bindend ist dieser Beschluss natürlich auch für niederösterreichische Delegierte nicht, die Wahl ist ohnehin geheim.

Pathos vs. Argumente

Was aber auch für deklarierte Anhänger von Hans Peter Doskozil nicht zu übersehen ist: Die Rede von Andreas Babler löst im Publikum deutlich mehr Begeisterung aus. Immer wieder wird sie von Spontanapplaus unterbrochen. „Dem Applaus nach gewinnt Babler“, räumt der niederösterreichische SPÖ-Chef Sven Hergovich ein: „Aber über das Ergebnis sagt das nicht viel aus. Stimmung ist das eine, die Abstimmung das andere.“ Er soll recht behalten.

Nach eineinhalb Stunden ist das Werben um Stimmen vorbei. Doskozil hat auf nüchterne Sachargumente gesetzt. „Mir sagt das zu, ich mag es, wenn jemand Dinge erledigt, bekommen will“, sagt einer, der ihn wählen wird. Babler hingegen setzte auf Pathos, er spricht so schnell, dass seine Stimme sich manchmal überdrippelt. „Fünf Finger sind eine Faust“, zitiert er ein bekanntes Kinderfreunde-Lied und löst damit nostalgische Erinnerungen im Publikum aus. „Wer davon nicht berührt ist, hat kein Herz“, sagt eine, die ihn wählen wird.

Im Herzen für Babler, im Kopf für Doskozil

Danach haben sich 32 Delegierte für den Diskussionsteil zu Wort gemeldet. „Jetzt geht es nur mehr um Schadensbegrenzung“ kritisiert eine Gemeindepolitikerin den Eindruck, den die SPÖ zuletzt hinterlassen hat, ohne eine Präferenz für einen der beiden auszusprechen. Der Kärntner AK-Vizepräsident Ronald Rabitsch erzählt von seiner Mutter. Als Mindestpensionistin mit 1100 Euro im Monat habe sie nicht mehr an die SPÖ geglaubt – bis Hans Peter Doskozil ihr neue Hoffnung gab. Auch der niederösterreichische Landeschef Sven Hergovich wirbt um Stimmen für Doskozil: „Setzen wir uns nicht über den Mitgliederentscheid hinweg.“ Die Wiener Frauenvorsitzende meint: „Ich werde Babler meine Stimme geben, weil Frauenpolitik bei ihm am besten vertreten ist“. Die Julia Herr ortet ein Dilemma bei vielen: Manche seien im Herz für Babler, im Kopf für Doskozil, weil man mit ihm womöglich besser Wahlen gewinnen könne: „Aber Babler bringt genau jene Emotion mit, die es braucht, um zu gewinnen“, sagt sie.  Der Steirer Max Lercher gibt sich versöhnlich: „Auch ich habe Fehler gemacht“, sagt er. Zwar werde er – natürlich – Doskozil wählen. Er denke aber nicht, eine Gegenrede zu Julia Herr zu halten, „weil ich sie für eine der größten Politikerinnen des Landes halte.“

Stunde der Ungewissheit

Es folgt eine Stunde der Ungewissheit. „Es wird ein knappes Ergebnis“, ist nun jeder überzeugt. Wie viele Delegierte waren tatsächlich unentschlossen? Welchen Stellenwert hat die Rede? „Ich bin von keinem überzeugt“, sagt ein Delegierter, „aber die Delegierten sollten nicht das Votum der Mitglieder aushebeln“, sagt er. Wie er dürften viele denken.

Es ist mucksmäuschenstill im Saal, als Michaela Grubesa das Ergebnis verkündet. Die rechte Saalhälfte jubelt. Die linke Saalhälfte sitzt wie versteinert auf ihren Plätzen. Manche kämpfen mit den Tränen. Auch Andreas Babler hat glasige Augen. Doskozil verspricht, alle Strömungen einzugliedern in der Partei. "Du kannst begeistern, das brauchen wir."

Danach leert sich der Saal schnell. Babler geht, und wird diesmal nicht wieder kommen. Doskozil und sein Team beraten, wo sie den Ergebnis feiern wollen. „Ich sehe das Ergebnis mit großer Demut“, sagt Max Lercher, der Doskozil unterstützte: „Ich seh‘ schon die Arbeit.“ In den Köpfen hat Doskozil die meisten Delegierten überzeugt. Jetzt muss er ihre Herzen gewinnen.