Schwere Kritik an der heimischen Impfstrategie übt der frühere ÖVP-Wirtschaftsminister und jetzige Pharmaunternehmer Martin Bartenstein im Gespräch mit der Kleinen Zeitung – und verknüpft die Vorwürfe mit der Forderung nach einem neuen, bundesweit einheitlichen Model. „Es ist nicht zu vermitteln, dass die Steirer nach einem anderen Muster geimpft werden als etwa die Wiener. So geht das nicht.“

Es entwickle sich in Österreich eine Stimmung, die ohnehin nicht gut für dieses Land sei. „Es ist an der Zeit, dass der Kanzler, der Gesundheitsminister, die neun Landeshauptleute sich zusammensetzen, einen Tag miteinander konferieren und bundesweit einheitliche Regeln festlegen. Das erwarten sich die Leute.“ Bei der Jugendfürsorge sei das auch gelungen. "Warum geht da nicht bei einem Thema,  wo es um Leben und Tod geht?"

Impfung als "Obrigkeitsgnadenakt"

Es sei „nicht zu vermitteln“, dass der Wiener Bürgermeister ankündigt, künftig auch Personen über 65 mit AstraZeneca impfen zu lassen, das nationale Impfgremium in der Frage aber immer noch auf der Bremse stehe. Dass die Impfdosen nicht sofort verimpft werden, sondern zurückgehalten werden, sei „absolut unerträglich.“ Denn:  „Es wird so getan, als ob die Impfung ein Obrigkeitsgnadenakt ist.“ Israel sei im Übrigen auch deshalb so erfolgreich, weil das Impfen zentral geregelt werden.

Verschwindet Corona wie die spanische Grippe?

Der erfolgreiche Unternehmer kann sich durchaus vorstellen, dass künftig auch in Österreich Impfstoff gegen Corona hergestellt wird. „Natürlich ist es machbar, allerdings nicht kurzfristig“, so Bartenstein, dessen Firma mit 27 Millionen Packungen im Jahr die Nummer eins am österreichischen Pharmamarkt  ist. Zuvor müsse eine virologische Schlüsselfrage geklärt. „Können wir das Virus in die Knie zwingen wie es bei der Spanischen Grippe der Fall war, die nach drei Jahren von der Bildfläche verschwunden ist? Oder müssen wir damit leben und brauchen in regelmäßigen Abständen Impfstoff, der auf die Mutationen angepasst wird?“ Nur beim zweiten Szenario sei der Aufbau der Impfproduktion in Österreich sinnvoll, dann müsste jährlich Impfstoff für acht Milliarden Menschen hergestellt werden. 

Es selbst habe nicht die Absicht, in der Steiermark eine Impffabrik auf die grüne Wiese zu stellen. Mehr Know-how in dieser hochspezialisierten Sparte hätten die Wien angesiedelten Pharmafirmen Boehringer Ingelheim und Pfizer. „Man kann da nicht aus der Hüfte schießen, davon muss man sich verabschieden.“ Nebenbei merkte der langjährige Wirtschaftsminister an, dass Israel über kein Impf-Know-how verfüge.

"Abgehobene Bürokratie"

Einmal mehr übte Bartenstein scharfe Kritik am Impf-Schlamassel der EU, insbesondere an der „abgehobenen Bürokratie“ in Brüssel sowie dem Agieren der in Amsterdam angesiedelten EU-Arzneimittelagentur (EMA). So habe die EU bei der Beschaffung des Impfstoffs „am falschen Platz gespart und damit unglaubliche menschliche  Kosten verursacht.“ US-Präsident Joe Biden hatten am Dienstag die Hoffnung ausgesprochen, bis Ende Mai alle Amerikaner geimpft zu haben. "Wenn wir so schnell wie die Amerikaner gewesen wäre, hätten wir bald alle Leute geimpft." Dass die EMA jüngst bekannt gab, am 11. März, wie es Bartenstein formuliert. „gnadenhalber“ über die Zulassung des Impfstoffes des US-Konzerns Johnson&Johnson zu entscheiden, sei „an Zynismus nicht zu überbieten.“ Denn: „Jeder verlorene Tag kostet   tausende Corona-Tote.“