Österreich soll zum Modell einer ökosozialen Marktwirtschaft werden. Am oagnen Roan die Arbeit toan! Im kleinen Österreich – während das riesige in Teilen brennende Australien die Umwelt weiter zerstörende Feuerwerke abbrennt, so Werner Kogler. Kritiker in den anderen Parteien versuchen, das Wagnis zu verhindern: Die grüne Basis soll wohl heute die Notbremse ziehen! Kurz habe Kogler über den Tisch gezogen, alles Grüne bleibe unbestimmt. Was die Türkisen verdauen müssen, bleibt unerwähnt.

Die Koalitionsvereinbarung ist mit 326 Seiten ungewöhnlich lang. Die Hälfte des Texts enthält weitgehend Ideologiefreies: Verbesserungen, Anpassungen, die der Natur der Sache folgen. Vieles aus früheren Programmen. Ein Viertel enthält Verheißungen und Arbeitsaufträge. Ein weiteres Viertel konkrete Maßnahmen: Infrastruktur-Milliarde, Verdoppelung des Fahrradverkehrs, eine Million Solaranlagen, Jahresticket für alle Öffis, Zuschlag zu Flugtickets, Rechnungshofkontrolle für Parteien, Abschaffung des Amtsgeheimnisses, erhöhter Familienbonus als Negativsteuer für Wenigverdiener, u. v. a. m.

Auffallend die umfangreichen grünen Schwerpunkte: Klima, Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Kinderarmut, Mindestlohn, Parteienfinanzierung, Inklusion, Behinderte, Frauen. Dem entsprechen türkise Schwerpunkte: Nulldefizit, keine neuen Steuern, umfassende Entlastung, Migration, Standortpolitik. Die Schnittmengen sind überraschend umfangreich: Ehrenamt und Bürgergesellschaft, Pflege, Pensionen, Bildung und Forschung, Digitalisierung und erstaunlich: Asyl und Menschenrechte sowie die Landwirtschaft.

Nichts wesentlich Neues in der Europapolitik. Zur gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung nur der Hinweis auf die Neutralität. Wenig in der Landesverteidigung: Bewährte Programmpunkte früherer Regierungen schon im vergangenen Jahrhundert, die Programm geblieben sind, ein allgemeines Bekenntnis zur Luftraumüberwachung, nichts zu deren Mittel (Abfangjäger).

Pensionen alles wie bisher: nichts zur gleitenden Anhebung des Antrittsalters mit steigender Lebenserwartung, nichts zum gleichheitswidrigen Frauenpensionsalter, nichts zur wiedererstandenen Hacklerregelung. Nichts zur Mindestsicherung, die nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs dringend reparaturbedürftig ist.

Aus Sicht der ÖVP enthält die Koalitionsvereinbarung viel Schwerverdauliches. Die Stolpersteine des Jahres 2003 sind nur zum Teil ausgeräumt: Der langfristige Budgetpfad ist diesmal außer Streit. Pensionen und Abfangjäger: nichts, siehe oben. In einem Side-Letter wurde wohl vereinbart, was 2003 nicht möglich erschien: eine aufeinander abgestimmte Vorgangsweise im Parlament, beraten und angenommen von den Klubs der Regierungsparteien.

Viel Grünes muss die ÖVP schlucken, ohne zu klagen: Die Einzelheiten einer umfangreichen Klimapolitik und ökosozialen Steuerreform hängen auch von der EU ab. Ihre Konkretisierung ist eine Mammutaufgabe – und ein ständiges Damoklesschwert über der ÖVP. Stillstand bei den Pensionen, gesetzlicher Mindestlohn, Familienbonus als Negativsteuer, keine Reparatur von Hacklerregelung und Mindestsicherung, teilweise Vernichtung der bisherigen Parteienfinanzierung, die gesamte grüne Verkehrspolitik (Flugpreisverteuerung, Dieselbesteuerung) u. v. a. m.

Warum also die Krot schlucken? Mit der SPÖ ging nichts mehr und geht auch nichts mehr, solange sie Grundsatzausrichtung und Führungsfrage nicht geklärt hat. Die FPÖ hat sich selbst versenkt. Beide Parteien müssen sich neu aufstellen, wollen sie je wieder regierungsfähig werden.

Die langen Verhandlungen mit den Grünen haben ergeben, dass die personellen und sachlichen Voraussetzungen gegeben sind, die ökosoziale Marktwirtschaft umzusetzen. Die Spitzenteams können miteinander, jede Partei räumt der anderen die Umsetzung ihrer Schwerpunkte ein. Kanten und Spitzen bleiben.

In der Tagesarbeit verlangt dies ständigen Umgang auf Augenhöhe, Disziplin in der Unmutsäußerung, Leidensfähigkeit im Hinblick auf das große Ganze. Vertrauensbildung also, und ein perfektes Konfliktmanagement. Beides ist nach den Erfahrungen der letzten vier Monate leist- und erwartbar.

Die neue Regierung ist uneingeschränkt pro-europäisch und dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet. Sie steht für die Erweiterung der EU – der Balkan ist für Österreich wichtig. Sie unterstützt die europäischen Bemühungen um den gemeinsamen Schutz der Außengrenze und die Entwicklung einer europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik (ohne Neuauflage der gescheiterten Zwangszuweisungen). Sie lehnt Mercosur ab, steht aber dem Freihandel positiv gegenüber. Budgetpfad, Schuldenabbau, umfassende Entlastung ohne klassenkämpferische Einschränkungen, Verwaltungsreform, Asyl und Menschenrechte, ja sogar bei der Migration: überall gemeinsame Lösungen.

Ausdruck des Muts zur Zusammenarbeit ist die Notfallsregelung im Falle eines neuen Ansturms auf Österreich von illegalen Einwanderern: Führt ein festgelegter Entscheidungsprozess zwischen beiden Parteien nicht zum Konsens, greift ein koalitionsfreier Raum mit freier Abstimmung im Nationalrat! Dieser Mechanismus verstärkt den Druck zum Kompromiss und wird wohl nie zur Anwendung kommen.

Ja, Klimaschutz, Ökosteuern, Parteienneuregelung, Transparenz, Rechnungshofkontrolle: Da muss die ÖVP auf „heilige Kühe“ verzichten. Aber: Sind diese Positionen aufgrund der neuen Problemlagen und Herausforderungen nicht lange schon unhaltbar geworden?
Die neue Regierung ist gut beraten, den ganzen Komplex der Parteienfinanzierung und der Wahlkampfkostenbegrenzung in einer Enquetekommission des Nationalrats aufzuarbeiten, in der alle Parlamentsparteien mitarbeiten können. Manche der hastig beschlossenen Regelungen sind offenkundig verfassungswidrig, weil sie die erfolgreiche Neugründung von Parteien unmöglich machen.

Was mich besonders freut, sind manche Kleinigkeiten: die Einführung des subsidiären Ethikunterrichts für alle, die Verbesserungen für die Volksgruppen, die Förderung des Gedenkdienstes, vernünftige Regelungen für das König-Abdullah-Zentrum (KAICIID) und die Korruptionsbekämpfungs-Akademie sowie der Versuch, Finanzgesetze in freier Mehrheitsbildung ohne Begutachtung wenige Tage vor der Wahl zu verhindern.

Der türkis-grüne Weg ist ein kühnes Unterfangen, ein Wagnis. Das Beste der türkisen und der grünen Welt umsetzen zu wollen, ist ein edles und ehrgeiziges Ziel. Es kann gelingen. Der Anfangsschwung ist groß, die guten Vorsätze fallen noch leicht. Wenn die Alltagsbelastungen kommen, wird es schwer. Aber: Angesichts aller anderen Alternativen sollte die Entscheidung nicht schwerfallen. Wer nicht wagt, hat schon verloren.