Dass der freiheitliche Parteichef nach den Enthüllungen in der „Süddeutschen Zeitung“ und im „Spiegel“ nicht zu halten sein würde, schien am Morgen nach einer arbeitsreichen Nacht klar. Am Vormittag, ehe noch Vizekanzler Heinz-Christian Strache zum Gespräch zu Bundeskanzler Sebastian Kurz geladen war, sickerte schon der Name seines Nachfolgers durch: Norbert Hofer sollte die Partei weiterführen und als Vizekanzler retten, was zu retten war. Der Zeitplan schien auch klar: Strache spricht um zwölf, der Kanzler um eins - und Ende. Doch es sollte anders kommen.

Gegen elf Uhr warten Journalisten und Kamerateams vor dem Kanzleramt, ein paar versprengte Demonstranten mischen sich darunter. Vom Vizekanzler keine Spur. Ums Eck, vor dem Palais Dietrichstein, einen Block weiter, verbarrikadiert unterdessen die Polizei den Eingang zum Amtssitz Heinz-Christian Straches. Zu viele Journalisten drängen sich vor dem Gebäude und wer weiß, wer noch? „Wir in der Schweiz haben einen eigenen Raum für Pressekonferenzen“, sagt eine Passantin süffisant, als sie das chaotische Journalistengerangel auf der Straße sieht.

"Unüberprüfte, ja schmutzige Gerüchte"

Drinnen reicht der Platz auf dem Pult nicht für all die Mikrofone, ein größeres muss her. An den Wänden hängen passende Ölschinken: Stürmische See auf der einen Seite, Jagdbeute vor mittelalterlicher Ruine gegenüber. Dann kommt Strache und zur Unterstützung des Angeschlagenen fast die ganze freiheitliche Regierungsmannschaft. Nur Mario Kunasek fehlt, der muss in Graz unterdessen seinen Parteitag bestreiten.

Zwölf Minuten spricht Strache und der größte Teil der Rede dient dem Angriff auf jene, die ihm die Falle in Ibiza gestellt haben. Ein „gezieltes politisches Attentat“ sei das gewesen, eine „Schmutzkübel- und Desinformationskampagne, die an Perfidie und Niederträchtigkeit nicht zu übertreffen ist“. Es dauert lange, bis er zum eigentlichen Thema kommt, seinen Aussagen in dem kompromittierenden Video. Eine „bsoffene Gschicht“ sei das lediglich, sagt Strache. „Ich war in einer intimen Atmosphäre verleitet, auch unreflektiert und mit lockerer Zunge über alles und jedes zu polemisieren. Und ja, meine Äußerungen waren nüchtern gesehen katastrophal und ausgesprochen peinlich.“

Ausdrücklich bittet Strache jene um Entschuldigung, die er in dem Video, das ohne sein Wissen aufgenommen wurde, in Misskredit gebracht hat: angebliche Parteispender, deren Namen fielen und die anderntags dementierten, der Bundeskanzler, über den er „unüberprüfte, ja schmutzige Gerüchte gestreut“ habe. „Prahlerisch wie ein Teenager“ habe er sich verhalten, gibt Strache zu. Mit „typisch alkoholbedingtem Macho-Gehabe“ habe er „wohl auch die attraktive Gastgeberin beeindrucken wollen“, sagte er. Direkt an seine Frau gewendet, bitte er um Verzeihung für Verletzung und Enttäuschung, die er ihr zugefügt habe.

Doppelter Rücktritt und Pappkartons

Damit niemand sein Verhalten zum Vorwand nehmen könne, „diese Regierung zu Fall zu bringen“, trete er zurück als Vizekanzler, schloss Strache seine kurze Rede, der keine Fragen folgen durften. Am heutigen Sonntag wolle er die Leitung der Partei Norbert Hofer überlassen.

Die Nachricht vom Rücktritt Straches verbreitete sich rasch und überlagerte die zweite: jener Mann, der das Treffen von Ibiza arrangiert hatte, Johann Gudenus, legte seine Ämter kurz nach Strache zurück. Gudenus war Klubobmann der FPÖ und geschäftsführender Parteichef in Wien, wo im kommenden Jahr wichtige Wahlen bevorstehen.„Neuwahlen, Neuwahlen“, skandieren die Demonstranten vor dem Kanzleramt, die mittlerweile zu einer imposanten Masse angeschwollen sind und fantasievolle Transparente schwenken: „Mit Russen! Wenn das der Führer wüsste“, steht auf einem Pappkarton. „Nasdrowje und baba!“ auf einem anderen. Ein Schild erinnert mit dem Wort „Knittelfeld“ an den Sturz der ersten Regierung Schüssel durch Jörg Haider. „Heute wird mein persönlicher Feiertag“, verkündet ein fröhlicher Demonstrant.

Polizeieinheiten wechseln einander ab

Mit Trillerpfeifen putscht sich die Menge auf, in Erwartung des baldigen Endes der Regierung. Polizeieinheiten wechseln einander ab, ihr Bewaffnungsgrad nimmt von Stunde zu Stunde zu. Aus dem Kanzleramt wird Mineralwasser für die wartenden Journalisten gebracht, ein schlechtes Zeichen. Die Pressekonferenz, die eigentlich um 14 Uhr erwartet wurde, verzögert sich. Gründe werden nicht genannt. Es kursiert das Gerücht, es gehe um den Innenminister. Herbert Kickl war Generalsekretär der FPÖ zum Zeitpunkt der Aufnahme des Videos. Die von Strache geschilderten Finanzierungsmethoden seiner Partei müsste er also gekannt haben.

Kurz nach 17 Uhr verdichten sich Neuwahlgerüchte mit einem Zusatz: Die Freiheitlichen wollten den Innenminister nicht opfern. Überraschen kann das niemanden, der die Bedeutung des Strategen für den Aufstieg der Partei kennt.

Pünktlich um 19.45 Uhr öffnet sich die Tür im Steinsaal und Sebastian Kurz macht dem Warten mit schlichten Worten ein Ende: „Genug ist genug.“