Noch nie war der FPÖ-Chef so gut drauf wie heute: Heinz-Christian Strache hat mit der Funktion des Vizekanzlers zur Rolle seines Lebens gefunden: Endlich kann er seine Kanten so einsetzen, wie es ihm gefällt: Nicht als Rundumschlag gegen alles und jeden, sondern als Wegmarkierung eines Regierungspolitikers, den man ernst nehmen muss.

Schon im Wahlkampf war er locker, im Wissen darum, dass bei den Regierungsverhandlungen nach der Wahl kein Weg an ihm vorüberführen werde. Seit dem Pakt mit Sebastian Kurz hat es erst recht den Anschein, als wüsste er selbst sehr gut, dass er politisch der Erfahrenere der beiden ist. Es verleiht ihm eine Gelassenheit, die ihn zuweilen sogar souveräner erscheinen lässt als den jungen Schrittmacher der neuen Regierung, den die Sorge nicht loslässt, dass er beim Schritt um die nächste Ecke in den Sog eines Orkanes gerät, der ihn seine Schritte nicht mehr selber lenken lässt.

Jetzt hat doch wieder den FPÖ-Chef der nächste Sturmwind erfasst. Er war sich durchaus dessen bewusst, welchen Böen er ausgesetzt ist und dass die politische Großwetterlage vom Mikroklima beeinflusst ist, das seine "eigenen Leut'" erzeugen. Woran das Regierungsexperiment mit der türkisen ÖVP am ehesten scheitern könnte, wurde er am Rande der Regierungsklausur in Seggau gefragt. Womöglich an Fehltritten der eigenen Mitstreiter, gab er ehrlich zur Antwort.

Er meinte dabei durchaus auch das, womit er jetzt konfrontiert ist: Einstellungen und Verhalten von Gesinnungsgenossen, die demokratiepolitisch zulässige rechte Einstellungen nicht trennen können von verwerflichen rechtsextremen Positionen, die außerhalb des Verfassungsbogens stehen, wie es ÖVP-Ideologiewächter Andreas Khol einmal so schön formulierte.

Da ist er jetzt, der Fehltritt, den nichts und niemand mehr entschuldigen kann: Die Aufnahme eines nationalsozialistischen Liedtextes in ein Gesangsbuch einer Burschenschaft, zu der sich der niederösterreichische Spitzenkandidat Udo Landbauer bekennt. Ein Liedtext, der nicht mehr als "Soldatenlied" oder "Brauchtumserbe" entschuldigt werden kann, wie das bei ähnlichen Vorfällen in der Vergangenheit der Fall war, sondern der offen dem Judenmord das Wort redet. Eine unfassbare Tat.

Fehltritte in Serie

Wie unfassbar, das haben weder die unmittelbar Betroffenen innerhalb der Partei noch ihr Chef rechtzeitig erkannt. Der Verteidigungsreflex mündete in einer Reihe weiterer Fehltritte:

Der Spitzenkandidat stellte die Mitgliedschaft in der Mittelschülerverbindung "Germania" nur ruhend, erst unter dem Druck der Öffentlichkeit stellte er klar, dass es irgendwie schon ein Austritt sei, zumindest bis zum Zeitpunkt, bis zu dem alles aufgeklärt sei.

Auch einen Tag nach Ausbruch der Affäre hält er das Bekanntwerden des Geschehens für linken Gesinnungsterror und das Wirken des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes für "keinen Maßstab dafür, was man singen kann".

Und in die Landesregierung einziehen will er "jetzt erst recht" - eine Wortwahl, die seit dem unglücklichen Agieren des seinerzeitigen ÖVP-Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim in Verteidigung seiner eigenen SA-Mitgliedschaft und der seines Pferdes nur noch als zynische Anspielung politisch Furore machte...

Der Innenminister (FPÖ-Mann Herbert Kickl, selbst kein Burschenschafter aber nichtsdestotrotz ein Rechtsausleger innerhalb seiner Partei) hält Ermittlungen gegen Landbauer für "ziemlich ausgeschlossen", noch ehe der Staatsanwalt am Zug ist.

Brüder im Geiste

Strache selbst erklärt, die Burschenschaften hätten nichts zu tun mit der FPÖ. Und das angesichts des Umstandes, dass 20 der 51 Nationalratsabgeordneten der FPÖ Mitglieder von "völkischen Verbindungen" sind, wie sich selber definieren. So viele wie noch nie. Der Parteichef selbst gehört der schlagenden Mittelschulverbindung "Vandalia" an. Seit er Parteichef ist, fördert er seine Brüder im Geiste.

Man versteht, dass sich der blaue Parteichef nach Buwog, Hypo und Co. nicht mehr auf windige Glücksritter verlassen will, die das eigene Wohl vor das Parteiwohl und das Wohl und Wehe des Steuerzahlers (und Wählers) stellen. Und es ist nachzuvollziehen, dass die Burschenschaften ein personelles Reservoir für eine Partei sind, deren Personalreserve mangels bisheriger Verankerung in den Institutionen dieser Republik endenwollend ist.

Ehre und Treue

Die Werte der Ehre und Treue, die von diesen Gesinnungsgemeinschaften hoch gehalten werden, sind angesichts des heute noch die Gerichtssäle beschäftigenden Erbes von Schwarz-Blau I wertvoll für die neue Regierungspartei FPÖ.

Strache hat seit seinem Amtsantritt mehrfach versichert, dass ihm das Bekenntnis zu einer modernen Demokratie, die jeglichem Extremismus eine Absage erteilt, mindestens ebenso wichtig ist, und dass er dieses Bekenntnis kompromisslos einfordern wird.

Jetzt ist er gefordert, dieses Versprechen einzulösen. Auch wenn ihm das Wegbröseln eines Spitzenkandidaten fünf Tage vor der Wahl denkbar ungelegen kommt.

Die Geister, die er mit den Burschenschaftern rief, wird er so schnell nicht los. Es liegt an ihm - und auch an den Burschenschaftern selbst -, so klare Worte zu finden, dass unmissverständlich klar wird, dass man mit dem Nazi-Bodensatz nichts zu tun hat. Diese Klarheit fehlt bis zur Stunde.

An den Taten soll man sie messen, haben Strache und Kurz an besorgte österreichische Beobachter und an die Weltöffentlichkeit appelliert. Jetzt ist es Zeit für Taten an Stelle der halbherzigen Ausreden und Schein-Bekenntnisse.