Mehr Muslime als Christen tendieren zu religiösem Fundamentalismus. Doch auch in bestimmten Untergruppen christlichen Bekenntnisses ist das Phänomen vertreten. Ein schwacher sozialer Status macht Menschen dafür überproportional anfällig. Die Fundamentalismus-Werte in Österreich sind relativ hoch. Das ist das Hauptergebnis einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.

Feindlichkeit

Kritisch für die Gesellschaft wird Religion speziell, wenn sie sich in Feindlichkeit gegenüber anderen Gruppen auswirkt. So gaben 70,8 Prozent der in Österreich befragten Muslime an, Homosexuelle als Freunde abzulehnen (Schweden: 42,9 Prozent; Niederlande: 47,4 Prozent; Frankreich: 57,6 Prozent; Belgien: 60,9 Prozent; Deutschland: 61 Prozent).

Der Aussage "Juden kann man nicht trauen" stimmten 64,1 Prozent der in Österreich befragten Muslime zu (Belgien: 56,7 Prozent; Frankreich: 43,4 Prozent; Niederlande: 40,4 Prozent; Schweden: 36,8 Prozent; Deutschland: 28 Prozent). Dass der "Westen" den Islam "vernichten" wolle, glaubten 67,1 Prozent der muslimischen Befragten in Österreich (Belgien: 63 Prozent; Niederlande: 54,4 Prozent; Frankreich: 52,5 Prozent; Schweden: 51,9 Prozent und Deutschland: 33,4 Prozent).

In Österreich stimmten 43,2 Prozent der befragten Muslime allen drei Aussagen zu (Deutschland mit niedrigstem Wert bei 14,4 Prozent, gefolgt von Schweden mit 19 Prozent, den Niederlanden mit 21,7 Prozent, Frankreich mit 25 Prozent und Belgien mit 35 Prozent.)

Ruud Koopmans, Direktor der Abteilung "Migration, Integration, Transnationalisierung" des Zentrums, hat gleichlautende Umfragen zum Thema "Religiöser Fundamentalismus und Feindlichkeit gegenüber anderen Gruppen unter Muslimen und Christen in Westeuropa" mit rund 9.000 Befragten aus dem Jahr 2008 ausgewertet. Die Umfragen wurden Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien, Schweden und den Niederlanden durchgeführt. Die Daten wurden im Juni 2013 bei einer Konferenz in Amsterdam präsentiert, vor wenigen Tagen wurde die Studie im "Journal of Ethnic and Migration Studies" in gedruckter Ausgabe publiziert.

Der Autor weist in der Einleitung darauf hin, dass es bisher zur Verbreitung von Fundamentalismus wenige Daten aus der Gruppe der Muslime in Europa (immigriert bzw. in zweiter Generation) und faktisch keine von den Menschen christlichen Bekenntnisses mit einer Familiengeschichte ohne Migrationshintergrund gegeben hat. Bei den Muslimen wurden Menschen mit türkischer und marokkanischer Familiengeschichte befragt, weil sie in den einzelnen Ländern große Anteile der Muslime repräsentieren.

Drei Merkmale für eine Tendenz zum Fundamentalismus wurden in Statements umgewandelt, zu denen die Zustimmung erfragt wurde: "Christen/Muslime sollten zu den Wurzeln des Christentums/Islam zurückkehren", "Es gibt nur eine Interpretation der Bibel/des Koran, und jeder Christ/Moslem muss sich an sie halten" sowie "Die Gebote der Bibel/des Koran sind für mich wichtiger als die Gesetze (des jeweiligen Landes)".

Dazu die Ergebnisse: Allen drei Fundamentalismus-Aussagen stimmten in Österreich 55,2 Prozent der befragten Muslime zu, das war der höchste Wert (Belgien: 52,5 Prozent; Frankreich: 52,3 Prozent; Niederlande: 44,6 Prozent; Schweden: 30,8 Prozent; Deutschland: 29,9 Prozent). In Österreich stimmten einem "Zurück zu den Glaubenswurzeln" 65 Prozent der befragten Muslime zu, 79,1 Prozent meinte, es gebe nur eine einzige Interpretation des Koran, 73,1 Prozent hielten die religiösen Gebote für wichtiger als die rechtsstaatlichen Gesetze.

Christen

Auch unter den Menschen christlichen Bekenntnisses ist Fundamentalismus kein Fremdwort, allerdings auf niedrigerem Niveau. Allen drei Punkten stimmten 4,4 Prozent der befragten Österreicher aus dieser Gruppe zu, in Schweden waren es nur 2,4 Prozent, in Frankreich 2,5, in Belgien drei Prozent, in Deutschland vier und in den Niederlanden fünf Prozent. Wesentlich höher war die Zustimmung zu den einzelnen Teilaspekten: In Österreich wollten 27,4 Prozent der befragten Christen "zurück zu den Wurzeln", 17,9 Prozent glaubten an nur eine mögliche Interpretation der Bibel, 13,5 Prozent hielten die religiösen Gebote für wichtiger als die weltlichen Gesetze.

Nur einige Prozentpunkte niedrigere "Fundamentalismus-Werte" als die Eltern wiesen Muslime der "zweiten Generation" auf. Sunniten aus der Türkei stimmten zu 45 Prozent allen drei Statements zu, Marokkaner zu 50 Prozent, alevitische Türken nur zu 15 Prozent.