Es kann nur einen geben: Georg Willi oder Johannes Anzengruber. Die Innsbrucker Bürgermeisterstichwahl am Sonntag ist eine der Marke unvoraussagbar. Nix is fix. Die beiden Konkurrenten - der 64-jährige grüne Amtsinhaber und sein bürgerlicher Herausforderer - liefern sich jedenfalls ein relativ einträchtiges Fotofinish. Weh tun sie sich selten. Das Finale Furioso zweier bereits Abgeschriebener.

Vor ungefähr einem halben Jahr befanden sich beide - zumindest in den Augen vieler politischer Beobachter - schon mehr im statt am politischen Abgrund. Der eine, Willi, arg zerzaust nach sechs Jahren stadtpolitischem Chaos, ein Bürgermeister allein auf weiter Flur, ohne großartig herzeigbare Arbeitsbilanz. Der andere, Anzengruber, von seiner politischen Heimat ÖVP vom Hof gejagt, weil er partout alle Parteiusancen missachtete, sich unverdrossen als alleiniger bzw. automatischer Bürgermeisterkandidat sah und auch nicht durch allerlei Aussichten auf anderweitige (politische) Betätigungsfelder „einzufangen“ war. Ein „Rebell“ im Out, so schien es.

Auf den letzten Metern

Sechs Monate später ist alles anders. Anzengruber schubste seine politische Heimat, „das Neue Innsbruck“ alias ÖVP, in den Abgrund, reüssierte beim Urnengang am 14. April sowohl in der Bürgermeisterdirektwahl als auch mit seinem Neo-Produkt „JA - Jetzt Innsbruck“ bei der Listenwahl. Und Willi schaffte das nicht mehr Angenommene, ging sogar als Direktwahl-Erster ins Ziel und hatte mit seinen Grünen auch im Parteienrennen die Nase vorn, wenngleich man beträchtliche Verluste in Kauf nehmen musste. Innsbruck wählte und ist scheinbar „anders“. Ein, auch angesichts der allgemeinen politischen Stimmungslage, für Außenstehende relativ anachronistisches Wahlergebnis.

Nun hecheln sie also auf den letzten Stichwahl-Wahlkampfmetern dem Ziel entgegen. Und geben sich - sei es bei diversen „Duellen“ oder in Interviews - großteils handzahm und einträchtig mit- und zueinander. Von einer Polarisierung, wie es vor allem bei einer Stichwahl zwischen Willi und FPÖ-Kandidat Markus Lassenberger der Fall gewesen wäre, keine Spur. Nur vereinzelte Sticheleien, etwas politisches Schattenboxen und taktische Spielereien.

„Sondierungsgespräche“ im Vorfeld

Der Bürgermeister gab und gibt sich in diesen zwei Wochen vor der Stichwahl wie aufgedreht. Fast scheint es, als würde er den finalen Urnengang am liebsten Urnengang sein lassen. Führte bereits staatstragend „Sondierungsgespräche“, um wohl in erster Linie zu symbolisieren: Seht her, ich habe das Heft in der Hand, bin voller Tatendrang, gebe die Richtung vor. Die FPÖ schloss er wenig überraschend von den Gesprächen aus. Anzengruber nahm die Einladung nicht an - wohlwissend, dass ansonsten beim Wähler der Eindruck entstehen könnte, hier habe sich jemand bereits hierarchisch eingefügt: „Ober“ Willi, „Unter“ Anzengruber.

In die Karten spielen Willi die machttechnischen Aussichten. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse, die am 14. April durch einen Mitte-Links-Rutsch geschaffen wurden, gilt wohl zu über 90 Prozent eine Mitte-Links-Koalition aus Grünen, Anzengruber und SPÖ als wahrscheinlich („Caprese-Koalition“ nennt Willi das aufgrund der Parteifarben, benannt nach dem italienischen Vorspeisensalat). Egal wer Bürgermeister wird. Mehr bleibt wohl nicht über, nachdem die Liste Fritz eine Mitte-Rechts-Viererkoalition mit Anzengruber, der FPÖ und dem „Neuen Innsbruck“ - man würde nur über eine knappe Mehrheit von 21 Mandaten verfügen - eine Absage erteilt hatte. Die Motivation für viele Mitte-Rechts-Wähler, zur Wahl zu gehen und einen von ihnen ungeliebten Bürgermeister abzuwählen, könnte dadurch nachgelassen haben. Weil die Machtverhältnisse - aus ihrer Sicht - so und so abträglich sind. Strategisch geschickt - und zu dieser Theorie passend - bekundete Willi zudem diese Woche, auch im Falle einer Niederlage in der Politik bzw. der Stadtregierung zu bleiben.

„Sehr knappes Rennen“

All das könnte es für Anzengruber schwieriger machen. Denn um zu siegen, muss er wohl genügend „Mitte-Rechts-Wähler“ bzw. solche des „bürgerlichen Innsbruck“ zu den Wahlurnen bringen. Solche, die ihn im ersten Durchgang nicht wählten. Spannend wird auch zu beobachten sein, ob ihm ausgerechnet die Wahlempfehlung von „das Neue Innsbruck“ und Ex-ÖVP-Staatssekretär Florian Tursky entscheidend Wähler zutreibt. Ansonsten gab es übrigens von keiner Partei eine Wahlempfehlung für einen der beiden Kandidaten. Mit dem Offen-Lassen der künftigen Koalition - obwohl ihn Willi mehrmals zu einem Bekenntnis zur Mitte-Links-Dreierkoalition drängte - schien Anzengruber jedenfalls zumindest zarte Signale in das Mitte-Rechts-Spektrum auszusenden. Auch die Freiheitlichen, denen ein Stadtsenatssitz zusteht, ließ der bewusst im Spiel. Eine Aussage, wonach der FPÖ-Vertreter im Proporzsystem wie bisher ohne Ressortverantwortung bleiben soll, war von Anzengruber - im Gegensatz zu Willi - nicht zu hören. Auf Frontalattacke auf und Polarisierung gegen Willi verzichtete der frühere ÖVP-Politiker. Stattdessen gab der Ex-Almwirt weiter den jovialen, unermüdlichen, etwas unpolitischen und betont „parteifreien“ Kümmerer bzw. Wahlwerber in den Stadtteilen, bleibt in vielem kryptisch und verzichtet - wiederum im Gegensatz zu Willi - auf taktische Finessen. Der 44-Jährige vertraut offenbar darauf, dass die im ersten Durchgang erfolgreiche Strategie noch einmal aufgeht.

Von einem „sehr knappen Rennen“ sprechen beide. Nicht zuletzt wohl aus Mobilisierungsgründen. Am Sonntag ist jedenfalls kommunalpolitischer „Judgment Day“ in Tirols Landeshauptstadt.