Seit mehr als elf Jahren ist Viktor Orbán an der Macht – er gilt weiter als starker Mann Ungarns. Wie wollen Sie seine Wähler davon überzeugen, für Sie zu stimmen?

PÉTER MÁRKI-ZAY: Ich denke, das wird gar nicht so schwierig. Ungarn ist in den Jahren unter Orbán zum zweitärmsten Land der Europäischen Union geworden; zugleich zum korruptesten Land der EU; 74 Prozent der Ungarn leben unter der von der EU definierten Armutsgrenze – damit liegen wir in Europa an der Spitze. Das ist das Ergebnis von Orbáns Regierung – und die Menschen sehen das. Dafür liegt Ungarn mit bisher mehr als 33.800 Todesopfern bezogen auf die Bevölkerungszahl weltweit im Spitzenfeld bei den Corona-Toten. Das alles hat unmittelbar mit der Regierung Orbán und der Korruption zu tun.

Gekauft hat die Regierung dann Impfstoff aus China: Mehr als 400.000 ältere Ungarn erhielten Sinopharm – obwohl Sinopharm überhaupt nie für Über-60-Jährige getestet worden war. Dazu wurden völlig überteuerte Beatmungsgeräte in Slowenien gekauft. Der zuständige slowenische Minister trat zurück. In der ungarischen Regierung, die ja den überhöhten Betrag bezahlt hat, wurde das nie ein Thema. Die Staatsanwaltschaft hat den Fall gar nicht erst untersucht. Wenn die Regierung das verlorene Geld in Test-Kapazitäten und Contact Tracing gesteckt hätte, wären viele Tausend Ungarn noch am Leben.

Parallel dazu werden Orbán und seine Familie immer reicher. Ein Kindheitsfreund Orbáns, ein Installateur, wurde in nur vier Jahren reicher als die Königin von England. Auch Orbáns Schwiegersohn kam zu immensem Reichtum – in nur drei Jahren. Zur gleichen Zeit beschnitt die Regierung die Pressefreiheit. Wichtige Medienunternehmen wie „Index“ wurden von Fidesz-Leuten übernommen. Die Oppositionsparteien erhielten fünf Minuten Sendezeit im öffentlichen Fernsehen – innerhalb von vier Jahren. Es wurde ein Medienrat gegründet, in dem ausschließlich Leute von Orbáns Fidesz-Partei sitzen. Nach mehr als einem Jahrzehnt unter Orbán haben wir heute einen Ein-Parteien-Staat, sehr hohe Korruption im Land, hohe Armut und sehr magere Ergebnisse. Seine Macht sichert er mit dem Schaffen von Feindbildern ab. Wen wir Ungarn laut Orbán nicht alles hassen sollen: „Brüssel“, Soros, Linke, die Roma-Volksgruppe, Migranten, Homosexuelle, Juden. Das ist unerträglich.

Die EU hält derzeit die Corona-Hilfsgelder für die ungarische Regierung zurück.

Vorerst noch.



Geht die Europäische Union aus Ihrer Sicht zu sanft mit Orbán um?

Ich fürchte, Brüssel wird am Ende des Tages diese Gelder an Orbán auszahlen – und zugleich bin ich natürlich auch sehr froh, dass Ungarn Wiederaufbau-Unterstützung der EU erhält. Aber Brüssel muss sicherstellen, dass Geld der europäischen Steuerzahler nicht in die Hände von Kriminellen gelangt – Orbáns Freunde und Familie. Dieses Geld muss bei den ungarischen Bürgern ankommen. Dazu muss man auch wissen: Wenn Orbán Mittel an Städte und Gemeinden vergibt, geht dieses Geld an jene, die von Fidesz-Leuten regiert werden. Bürgermeistern, die der Opposition angehören, werden Gelder verweigert – wie etwa mir als Bürgermeister von Hódmezovásárhely. Deshalb muss die EU darauf achten, dass Hilfsgelder in Ungarn nicht nach politischer Loyalität verteilt werden, sondern nach Regeln.

Ihnen wird von einigen Analysten zugetraut, gegen Orbán zu gewinnen, wenngleich Sie als Überraschungskandidat gelten.

Die Idee erschien lange nicht sehr realistisch. Noch vor vier Jahren arbeitete ich als Marketing- und Logistik-Manager für einen französischen Konzern. Ich war damals schon unglaublich wütend über die Korruption, die mir in meinem Land begegnete. Und überzeugt, dass es eine Strategie geben muss, mit der man Fidesz schlagen kann: ein voller Zusammenschluss der gesamten Opposition.

Es gibt auch Kritik an Ihrem doch sehr inhomogenen und nicht gerade hübschen Bündnis.

Dieser Schritt ist notwendig, weil Orbán das Wahlrecht so geändert hat, dass es der regierenden Partei zugute kommt. Wir haben jetzt ein Zwei-Parteien-Wahlsystem. Die Opposition hat daher nur dann eine Chance, wenn sie sich zusammenschließt – selbst wenn Rechtsaußen-Gruppen wie Jobbik dabei sind. Auch Parteien, in denen es früher Korruptionsfälle gab, können nicht ausgeschlossen werden, weil das automatisch bedeutet, dass Orbán an der Macht bleibt. Es geht nicht darum, ob einem das gefällt oder nicht. Es geht einfach nur so.

Wie wollen Sie einen nationalen Wahlkampf gewinnen, wenn die Medien zum großen Teil unter Kontrolle der Fidesz stehen?

Nicht nur das – sie haben auch einflussreiche Medien aufgekauft und scheinen da über unendliche Ressourcen zu verfügen. Wir setzen vor allem auf die Sozialen Medien, weil sie derzeit jener Kanal sind, der vergleichsweise offen und demokratisch ist. Im Februar 2018 gewann ich auf diese Weise die Bürgermeisterwahl. Leider hat die Fidesz dann davon einiges abgeschaut, auch sie haben jetzt Social Media Experten und zugleich sehr viel Geld. Wir müssen uns daher gut organisieren, Guerilla-Marketing-Methoden einsetzen, und wir brauchen sehr scharfe Botschaften.

Was lässt Sie so sicher sein, dass Ihr Oppositionsbündnis bis zur Wahl und auch noch darüber hinaus halten wird?

Es gibt keine Garantie dafür. Aber ich denke, alle wissen, dass es in ihrem größten Interesse ist, zusammenzuhalten. Ich hoffe, dass sie klug genug sind und sich nicht von der Fidesz spalten lassen. Im Moment gibt es vier Werte, die wir alle teilen: Demokratie. Rechtsstaatlichkeit. Sozial rücksichtsvolle Marktwirtschaft. Europäische Integration. Wir wollen über eine Verfassungsreform, mit echter Gewaltentrennung, sicherstellen, dass künftig niemand die Demokratie in Ungarn in Geiselhaft nehmen kann. Wenn wir sichergestellt haben, dass die Rechtssprechung in Ungarn künftig unabhängig ist und nicht unter dem Einfluss einer politischen Partei oder eines neuen Diktators steht, dann kann und muss sich unser Bündnis auch wieder auflösen. Doch jetzt ist es unser Hauptziel, eine echte, stabile Demokratie zu installieren.

Sie haben eine große Familie, sieben Kinder. Manche fürchten, Ihre Gegner könnten vor der Wahl versuchen, kompromittierendes Material über Sie zu finden.

Ein Geheimdienstexperte hat bereits bestätigt, dass die Fidesz über jeden einen Akt angelegt hat. Meiner ist leer. Sie haben nichts gefunden. Es kann sein, dass sie mich dafür attackieren werden, eine Zeitlang in Kanada gelebt zu haben. Oder dass sie behaupten, ich sei nicht wirklich ein Konservativer oder kein echter Christ – obwohl ich das schon war, bevor Orbán ein Rechter und ein Christ wurde. Ich bin ein sehr treuer Ehemann und ein sehr gläubiger Katholik. Sexskandale werden sie bei mir nicht finden. Es gibt auch keine Korruptionsskandale. Meine Familie wurde bereits angegriffen; meine Frau musste ihre Arbeit als Hebamme aufgeben, weil sie in der Fidesz-Presse als „Baby-Killerin“ hingestellt wurde. Wir haben das überstanden. Meine Frau arbeitet jetzt in einer Tischlerei. Sie werden weiter alles tun, um mich zu diffamieren. Ich mache mir da keine Illusionen. Doch wir lassen uns nicht beirren und arbeiten einfach weiter. Wir werden Orbán aus dem Amt holen.