Am Donnerstag meldete sich die Kandidatin zu Wort. „Rückblickend wäre es besser gewesen, wenn ich mit einem Quellenverzeichnis gearbeitet hätte“, sagte Annalena Baerbock der „Süddeutschen Zeitung“. Eine ehrliche Einsicht, aber die Erkenntnis kommt spät. Bereits vorvergangenen Sonntag hatte der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber auf Textübernahmen in Baerbocks Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“, hingewiesen. Nun hat sich die Autorin entschuldigt. Die Grünen wagen einen Neustart in den Bundestagswahlkampf. Wieder einmal.

Im Frühjahr war Baerbock noch furios gestartet, zeitweise lag ihre Partei in Umfragen gar vor der Union.Doch musste Baerbock erst das Weihnachtsgeld der Partei nachmelden, dann Retuschen am Lebenslauf eingestehen, nun kommt die Debatte um ihr Buch. Die Diskussion wirft kein gutes Licht – auf Kandidatin und Partei. Zunächst war es nur um ein paar Textstellen mit Sachinformationen gegangen. Baerbock hatte nicht allein die Höhe eines Holzhochhauses aus einem Magazin übernommen, sondern gleich den ganzen Satz. Nicht schön, aber einfach im dicht gedrängten Terminkalender. Die Partei indes schaltete umgehend einen Medienrechtler ein. Ein Sprecher - eigens für den Wahlkampf - aus der Bundestagsfraktion in die Parteizentrale beordert, entschied sich dann zum medialen Gegenangriff. Die falsche Strategie. Damit war die Buchaffäre erst recht Thema. Bei den Grünen herrscht größtmögliche Unordnung.

Schon zuvor hatte das Krisenmanagement Zweifel aufkommen lassen, nicht allein an den Organisationsstrukturen der unglaublich schnell gewachsenen Partei, sondern auch allgemein an der Regierungsfähigkeit.

Weitere Textstellen

Nach und nach tauchten weitere inkriminierte Textstellen auf. Vom Parteifreund Jürgen Trittin bis zur CDU hatte sich Baerbock anregen lassen. Es tobte zunächst eine Debatte, ob es sich bei dem Werk um ein Sachbuch handele? (Dann bitte mit Quellenapparat.) Oder um eine Autobiografie? Oder aber um ein Politikerbuch, wie die „Süddeutsche Zeitung“ meinte und damit eine neue literarische Gattung schuf. Jenseits der Diskussion um die Einordnung des Buchs stellt sich aber eine grundsätzlichere Frage: Wo liegt der Kern einer Person, wenn sie für ein Buch über ihr eigenes Leben andere Quellen heranzieht? Eine ganze neue Frage der Identitätspolitik.

Die Grünen sind in den Umfragen zurückgefallen, sie liegen nun deutlich hinter der Union. Baerbock wähnt nicht zu Unrecht einer Kampagne ausgesetzt. (Zuletzt sollte sich auch noch für ein Promotionsstipendium der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung rechtfertigen, das nicht zum Abschluss führte). Zwischenzeitlich musste die Partei sogar dementieren, die Kandidatin ziehe sich zurück. So schwant manch einem, es handelt sich nicht allein um einen Fehlstart in den Wahlkampf für die Bundestagswahl am 26. September, sondern um ein dauerhaftes Tief.

Das lenkt den Blick wieder auf Habeck

Das lenkt den Blick auf andere. Auffällig wird notiert, dass Grünen-Ko-Chef Robert Habeck, promovierter Philosoph und erfolgreicher Buch- und Theaterautor, in der aktuellen Debatte um Baerbocks Werk schweigt. Urlaub, heißt es offiziell in der Partei. Doch hat Habeck gleich zweimal im Wochenblatt „Die Zeit“ über seine – verständlichen – Empfindungen durch die Nichtberücksichtigung fürs Kanzleramt berichtet.

Auch sonst wirkt die Partei hilflos. Ihr fehlt jemand wie Wolfgang Schäuble, der im Kandidatenstreit der Union zwischen Armin Laschet und Markus Söder entscheidend eingriff. Die Grünen behaupteten stolz, unter Habeck und Baerbock den Flügelstreit überwunden zu haben. Nun formieren sich im Hintergrund die alten Lager. Hinzu kommen Enttäuschte, die nach der Wahl auf ein Amt gehofft hatten. In Sachsen-Anhalt bildet die Union nun mit FDP und Sozialdemokraten eine Regierung. Die Grünen sind raus aus dem Spiel. Kein gutes Zeichen für den Bund. Bei den Grünen droht sich nach der Wahl ein echter Aggressionsstau zu entladen. „Mehr als drei Jahre lang haben intensiv daran gearbeitet, über eine andere Ansprache und Haltung Gräben zu überwinden“, sagte Baerbock nun der „Süddeutschen Zeitung“. Das klingt wie ein Aufruf zum Neustart im Wahlkampf. Noch mehr aber als Mahnung, das Erreichte nach der Wahl nicht einfach aufzugeben im parteiinternen Kampf.