Arbeitsminister Martin Kocher war heute zu Gast in der ORF-Pressestunde. Die hohe Arbeitslosigkeit als Folge der Corona-Pandemie, auch die Diskussion über ein allenfalls niedrigeres Arbeitslosengeld bzw. verschärfte Zumutbarkeitsbedingungen, wie sie der ÖVP-Wirtschaftsbund ins Spiel gebracht hatte, beherrschte die Debatte.

Letzteren Überlegungen hatte Sozialminister Wolfgang Mückstein zuvor bereits eine Absage erteilt: "Mit den Grünen wird es das nicht geben", erklärte Mückstein am Samstag. Es gehe nicht an, die Menschen, die keine Arbeit fänden, zusätzlich noch dadurch zu verunsichern und zu schädigen, dass man sie in die Arbeit abdränge.

Kocher zum Thema Arbeitslosengeld: Eine Senkung des Arbeitslosengeldes kommt für ihn mitten in der Krise nicht in Frage, "das Arbeitslosengeld zu senken in einer Zeit, wo es keine Arbeit gibt, wäre tatsächlich zynisch". Aber nach der Krise müsse man über das Gesamtsystem nachdenken, so wie es auch im Regierungsprogramm stehe. Es gehe dabei nicht nur um die Höhe des Arbeitslosengeldes, sondern um das Gesamtsystem inklusive Notstandsregelung und Zuverdienstgrenzen.

Alle Vorschläge seien zu evaluieren, "und wir müssen auch ins Ausland schauen, wo es degressive Modelle gibt, die gut funktionieren". Er freue sich auf eine "sachorientierte Diskussion" im zweiten Halbjahr. Eine Anhebung von den im internationalen Vergleich sehr niedrigen 55 Prozent könne er sich vor allem zu Beginn der Arbeitslosigkeit sehr gut vorstellen, in Bezug auf eine allfällige Absenkung auf unter 55 Prozent bei längerer Arbeitslosigkeit wolle er sich noch nicht festlegen. Die Abschaffung der Notstandshilfe (unter Schwarz-Blau geplant) stehe für ihn nicht zur Debatte. "Das System soll jedenfalls für alle besser werden", vor allem auch, was die Wiedereingliederung der Langzeitarbeitslosen betrifft.

Fokus auf Langzeitarbeitslose

Die Details der neuen Förderung für Langzeitarbeitslose ("Sprungbrett") würden gerade ausgearbeitet. Die Aktion stehe Betrieben aller Branchen offen. Dass sie erst im Sommer starte, also erst nach der jetzt unmittelbar bevorstehenden Öffnung, werde verhindern, dass für jene, die durch die Öffnung rasch wieder Arbeit finden, im Tourismus etwa, "Mitnahmeeffekte" lukriert würden. Wie berichtet, geht es bei der Förderung um eine Lohnförderung von durchschnittlich 50 Prozent über ein Jahr hinweg, das Ziel ist, dass die Betroffenen danach beim Betrieb verbleiben. Vorbereitung, Begleitung und Weiterbildung spielten dabei eine große Rolle.

Kurzarbeit Neu

Der Arbeitsminister zum Auslaufen der Kurzarbeit Ende Juni: An neuen Rahmenbedingungen, die das Modell auch ab 1. Juli noch brauchen, werde gerade mit den Sozialpartnern gearbeitet. Die Kurzarbeit Neu soll bis Ende Mai stehen. Kocher nannte die Nachtgastronomie oder die Stadthotellerie als Beispiel, ebenso Betriebe, die nach einem allfälligen Wieder-Anstieg der Infektionszahlen wieder von behördlichen Schließungen betroffen seien. Relevant werde etwa auch der Umsatzentfall sein, auch Selbstbehalte und eine Mindestarbeitszeit, aber er wolle der Einigung mit den Sozialpartnern nicht vorgreifen.

Kocher zum Facharbeitermangel: Dieser werde sich in den kommenden Jahren durch weniger geburtenstarke Jahrgänge noch verschärfen. Der Fokus liege auf der Aus- und Weiterbildung, 40 Prozent der Langzeitarbeitslosen etwa hätten nur Pflichtschulabschluss. Kocher war vor seiner Zeit als Minister für  einen leichteren Zugang etwa von Asylberechtigten, aber auch von Asylwerber in Lehrer, zum Arbeitsmarkt. Er ist auch heute noch dafür, es dürfe jedoch keine unterschiedlichen Zugänge geben, sondern das müsse sich in einer Reform der Rot-Weiß-Rot-Card abbilden.

Kocher zu neuen Steuern, zum Beispiel Vermögenssteuern, und einer Anhebung des Pensionsalters: Beides sei derzeit kein Thema. Bei den Steuern gehe es nur um eine Strukturänderung in Richtung ökologisch relevanter Faktoren, bei der Pension um eine Annäherung des faktischen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter.

"Nicht elegant"

Der von der ÖVP in die Regierung entsandte Minister zur aktuellen Debatte über die Chat-Protokolle einzelner ÖVP-Regierungsmitglieder und Spitzenrepräsentanten: Die Formulierungen seien "nicht elegant", aber in jenen, die er kenne, sehe er nichts strafrechtlich "Verwerfliches". Die Unschuldsvermutung müsse auch für Regierungsmitglieder gelten. Dass die Politik in Bereichen, wo Infrastruktur und systemrelevante Strukturen betroffen seien, Interesse habe, dort Leute zu haben, denen sie vertraue, sei für ihn klar.

Kocher hält es für "viel zu früh", über Konsequenzen der Ermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz zu spekulieren. "Wir warten jetzt einmal ab was passiert", sagte er Sonntag in der ORF-"Pressestunde". Er könne sich "beim besten Willen nicht vorstellen, dass er bewusst die Unwahrheit gesagt hat im U-Ausschuss". Eine Neuwahl hält er für "sehr unwahrscheinlich". Leise Kritik übte er an der Opposition ("starke Polarisierung")

Der Minister zur Frage seiner eigenen Zukunft: Er geht davon aus, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode, 2024, hält. Das ist vorerst auch sein eigener politischer Horizont. Er ist nicht ÖVP-Parteimitglied und will es auch - derzeit - nicht werden. "Ich wurde als Experte von außen geholt, und ich behalte mir gerne meine Unabhängigkeit."

Die Reaktionen

Die NEOS fordern, die Kurzarbeit dringend anzupassen. "Es liegt auf der Hand, dass die Kurzarbeit, die inmitten der Krise absolut notwendig war, dringend angepasst werden muss. Nach so langer Zeit zeigt sie einfach zunehmend auch stark negative Effekte, weil sie Arbeitskräfte in der Kurzarbeit bindet, die an anderer Stelle gesucht wären", so NEOS-Mandatar Gerald Loacker.

Für die FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch ist Kocher weiter auf "einem brutalen Sozialabbau-Kurs".

Die SPÖ kritisierte, dass Kocher nicht klar Stellung gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes bezogen hat.