Was lernen Sie von Sebastian Kurz, was lernt er von Ihnen?
WERNER KOGLER: Ich lerne mehr, als einige vermuten würden. Er kann sehr gut unter Druck entscheiden, macht aber zwischendurch mal einen Schritt zurück. Wir haben gemeinsam gelernt, dass wir unsere Stärken ausspielen und unsere Schwächen kompensieren können. Ich versuche, mehr die Wissenschaft und die faktische Analyse einzubringen.

Was war die brenzligste Klippe in den 100 Tagen Coronakrise?
Ein intensiver Moment war, als wir entscheiden mussten, wann wir den Lockdown machen. Die Experten haben sich da widersprochen. Kurz hat dazu beigetragen, dass wir drei oder vier Tage schneller waren. Wir Grünen haben durchgesetzt, dass es mehr Gründe gibt, sich im Freien aufzuhalten. Das war wirklich ein guter Kompromiss.

Die Regierung hat die Krise bewältigt, weil man die Bürger erfolgreich eingeschüchtert und diszipliniert hat. Falsch?
Wir haben nicht diszipliniert, sondern appelliert. Wir hatten Berichte über weinende Ärzte in italienischen Spitälern. Das wollten wir vermeiden. Bei uns sind noch Menschen herumgelaufen, die haben gesagt, das ist harmloser als ein Grippevirus. Das war die Aufstellung. Hätten wir zwei Wochen lang nichts getan, dann wären wir auch Italien geworden. Aber ich lasse mir gerne vorwerfen, dass wir zu schnell zu erfolgreich waren.

Wann haben Sie selbst so etwas wie Angst verspürt?
Angst ist nicht die Kategorie, aber Druck. Wann entscheidest du was? Das waren schwierige Nächte. Wir haben uns Anfang März ausrechnen können: Wenn wir nichts oder das Falsche tun, sprengen wir spätestens Mitte April die intensivmedizinischen Kapazitäten.



Aus welchen Fehlern lernt man für die zweite Welle?
Natürlich wurden auch Fehler gemacht. Das sieht auch die türkise Kultur so. Was wir für eine zweite Welle brauchen, ist eine Verbesserung der Rückverfolgung. Wenn das wieder fünf Tage dauert, bis sich die Mannschaft der Amtsärzte in Bewegung setzt, na hallo, dann haben wir ein Problem. Ich fürchte, wir werden immer wieder kleinere Herde von Ausbrüchen haben. Da müssen wir viel schneller, dafür aber regional eingegrenzter handeln. Die Pandemie ist weltweit aufsteigend galoppierend. Kein Ende in Sicht.

Verschluckt die ÖVP die Grünen?
Kompromisse sind unausweichlich in der Demokratie. Wer den Kompromiss denunziert, richtet da einen Schaden an. Ich weiß schon, auf Social Media ist das ein beliebter Sport – Volkssport kann man eh nicht sagen, denn dafür sind diese Kreise zu klein. Es ist eine zivilisatorische Errungenschaft, dass man sich in Verhandlungen etwas ausmacht. Und dass nicht immer nur einer allein alles bestimmt. Deshalb nervt mich die Interpretation, wer da gewonnen hat oder nicht. Am Schluss gewinnt die Bevölkerung, wenn sich zwei Wahlsieger darauf einigen, dass man gemeinsam Neues angeht.

Dieser Tage wurde der SMS-Verkehr zwischen Sebastian Kurz und HC Strache publik. Haben Sie und Kurz auch ein SMS-Verhältnis?
Die gleichen SMS wird es sicher nicht geben. Ich arbeite mit anderen Inhalten und Politikformen als mein Vorvorgänger. Wir SMSen bestimmte Notwendigkeiten, Vereinbarungen zu Terminen etwa. Der Vergleich macht wohl sicher.

Das gesamte Gespräch

SMS würden dem Briefgeheimnis unterliegen. Ist es ein Problem, dass sie öffentlich werden?
Ich werbe schon dafür, dass etwa im U-Ausschuss bestimmte Akten bestimmte Geheimhaltungsstufen haben. Erstens sollten wir Ermittlungsschritte nicht gefährden. Zweitens sind öfter auch Dinge drinnen, die sehr ins Persönliche gehen. Das muss man nicht alles öffentlich auswalzen. Zum Glück haben bei uns auch Zeugen und Beschuldigte Rechte.

Der Aufdecker wird zum Zudecker, wenn er Vizekanzler wird?
Wir haben erkämpft, dass U-Ausschüsse ein Minderheitsrecht werden. Und damit verbunden, dass auch beim Aufdecken Maß gehalten werden muss. Es gibt ja kaum geschwärzte Akten mehr, aber daraus erwächst auch mehr Sorgfaltspflicht. Es soll also nicht zugedeckt werden – es soll korrekt ermittelt werden.

SPÖ und Neos üben den Angriff. Bei den Grünen hat man den Eindruck, sie werden im Ausschuss zu Pflichtverteidigern der ÖVP.
Ich weiß nicht, wo man diesen Eindruck herhaben kann. Zuerst hat einmal die SPÖ etwas verhindert – dass wir bei den Vorwürfen von Postenbesetzungen und Gesetzeskauf rund um die Casinos AG acht Jahre zurückgehen. Ich bin überzeugt davon, dass es bei Glücksspielgesetzen immer unschön zuging. Wie kommt denn Strache auf das? Die Novomatic hat immer alles probiert. Peter Pilz und ich hatten schon seit Jahren Hinweise, dass es Versuche gab, Gesetze zu kaufen. Also, wer hier ein Zudecker ist, ist relativ.

Muss die Wirtschaft krisenfester werden mit Blick auf kommende Krisen?
Ja sicher. Wir haben ein Eigenkapitalproblem in vielen Betrieben, weil wenn die nach drei Wochen schon zum Wackeln anfangen, stimmt was nicht. Da spielt auch die Sparbuchkultur eine Rolle, weil alles Geld immer auf die Bank getragen wird und es schon pfui ist, wenn irgendwo der Begriff Aktien fällt. Da habe ich als Grüner kein Problem damit, denn man könnte über den Kapitalmarkt auch ökologische Investitionen realisieren.

Im Sog von Wien will auch Graz, Ihre Wochenendstadt, den Verkehr aus dem Zentrum drängen. Freuen Sie sich?
Die Ankündigung ist mir schon aus den 80ern vertraut. Freuen würde ich mich, wenn Bürgermeister Nagl nur die Hälfte seiner Fantasie und seiner bunten, luftigen Projekte in urbane Umweltpolitik übersetzen würde. Es wäre auch in Graz Zeit für eine autofreie Innenstadt. Das Straßenbahnnetz gleicht jenem aus dem vorigen Jahrhundert. Jetzt öffnet sich für die Stadt durch die Krise ein historisches Zeitfenster. Für den überfälligen Ausbau der Öffis würde auch der Bund Gelder bereitstellen. Leider hat Nagl uns Grüne aus der Stadtregierung gekickt. Das war unschön. Aber jetzt geht es um die Modernisierung des städtischen Verkehrs. Nagl soll wieder aufspringen. Er darf noch einmal an Bord. Wir nehmen ihn gerne mit.

Wo wird man Sie im Urlaub finden?
In der Nähe des Ministeriums. Wir werden nur spontan auslassen können. Schaden würde es uns nicht. Ich bin wasseraffin und werde einen Gebirgssee aufsuchen. Ich hoffe, es herrscht dort Ruhe. Vielleicht gehen sich drei Tage Italien aus, aus alter Zuneigung. Allen, die die nationalistische Urlaubswelle reiten: Man bleibt auch nach drei Tagen Italien ein guter Mensch.