Dass die Corona-Pandemie die Esskultur nachhaltig verändert, ist für Trendexpertin Hanni RützlerFakt. „Verhaltensweisen, die über Monate zwangsweise erprobt wurden, werden auch nach der Krise Konsumverhalten und Lebensstile prägen“, erklärt die Ernährungsexpertin und dreht gleich weiter am Rad: „Doch werden Produzenten, Lebensmittelindustrie, Handel, Gastronomie aus den in den Lockdowns gemachten Erfahrungen die richtigen Schlüsse ziehen, um in Zukunft resilienter aufgestellt zu sein?“

Seit mehr als 25 Jahren analysiert die Trendforscherin den Wandel der Esskultur und widmet sich nachhaltigen Trends jenseits der kurzlebigen Social-Media-Begeisterung für Speisen, Drinks und Lokale.

Hier sind die wichtigsten aus ihrem Food Report 2022:

Das neue Verständnis von Essen

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„New Normal“ nennt Hanni Rützler, was Corona mit sich bringt. Wie selbstverständlich werden nun auch frische Lebensmittel online gekauft, im Restaurant wird verbindlich reserviert, im Lieblingslokal werden Kochboxen für zu Hause bestellt. „Essen ist wieder näher an den Menschen herangerückt“, schildert die Trendforscherin. „Es ist eine neue Nähe entstanden, indem man wieder selbst Gerichte ausprobiert, Zeit hat für die gemeinsame Mahlzeit. Essen wird zu einem genussvollen Akt.“

Künftig würde sich genau das etablieren, was sich als besser und passender für die veränderten Bedürfnissen der Menschen herausstellt. Außerdem spiele die Gesundheit und das Verständnis für sorgsam gezogene Lebensmittel dabei eine wesentliche Rolle. „Ein gutes und gesundes Leben erfordert auch eine gute, also ,gesunde‘ Umwelt. Unser Ernährungssystem und unsere Lebensmittelproduktion haben immensen Einfluss auf die Umwelt – und damit mittelbar auch Auswirkungen auf unsere individuelle Gesundheit.“

Trendforscherin und Ernährungsexpertin Hanni Rützler
Trendforscherin und Ernährungsexpertin Hanni Rützler © futurefoodstudio

Exotische Region, ein kulinarisches Paradoxon

„Die Lockdowns haben die Bedeutung lokaler Lebensmittelproduktion gestärkt“, betont Rützler. Außerdem sei „eine neue Sehnsucht nach kulinarischen Entdeckungen und exotischen Genüssen“, geweckt worden. Der Trend „Local Exotics“, also alles, was aus anderen Ländern stammt und nun im eigenen Garten oder der Region angepflanzt wird, sei vielversprechend und würde diesen Widerspruch in Zukunft auflösen.

Unter anderem gedeihen Reis und Ingwer in ausgezeichneter Qualität in der Steiermark, Artischocken werden in Kärnten geerntet, Wasabi im Burgenland – „da steckt viel Innovationskraft dahinter. Sorte, Boden, Technik, Witterung, Wissen, alles spielt zusammen. Oft sind es Quereinsteiger, die sich an die Arbeit machen“. Und: „In Österreich wird Regionalität oft traditionell interpretiert“, neue heimische Produkte würden zur intensiveren Auseinandersetzung mit der regionalen Küche anregen. Was es dazu braucht, seien „innovative Player und die Gastronomie, die dem Gast das Produkt näher bringt“.

Klick aufs e-Gemüse

Durch Corona hat sich ein Trend beschleunigt, den Rützler „e-Food“ nennt. „Die Entwicklung hat das disruptive Potenzial, unser Ernährungssystem nachhaltig zu verändern.“ Es gehe dabei nicht allein um den Verkauf von Lebensmitteln über digitale Vertriebskanäle. Die Vernetzung schaffe neue soziokulturelle Strukturen, die Gastronomie, Lebensmittelproduktion, Landwirtschaft, Koch- und Essverhalten umkrempeln.

Post-Corona wird gemüsereich

Während 2020 für einen Großteil der Gastrobetriebe kein gutes Jahr war, sind „Popularität und Akzeptanz vegetarischer und veganer Ernährung in der Pandemie weiter gestiegen“, sagt Rützler und schildert einen europaweiten „Vegourmet“-Trend“, der „von den Jungen angeschoben wird“.

Der Anteil an Flexitariern steigt, also von Menschen, die Fisch- und Fleischprodukte nur ab und zu in ihren Speiseplan einbauen, dafür aber in guter Qualität genießen wollen. „Qualität heißt für Flexitarier vor allem auch: kein Fleisch aus Massentierhaltung, sondern aus artgerechter und biologischer Haltung“, betont die Ernährungsexpertin. Der Trend spiele auch den Produzenten von Wurst-, Fleisch- oder Milchersatz in die Hände.

Was nach der Coronazeit nicht mehr auf den Gasthausteller kommen sollte? „Ein liebloses Tiefkühlgetreidelaibchen“, sagt Hanni Rützler energisch. „Das geht sich nicht mehr aus. Die Ansprüche wachsen, als Gastronom muss man sich bei fleischlosen Alternativen etwas einfallen lassen, sonst verliert man die jungen Gäste.“

Nachhaltiger Genuss: Die Offenheit für Esslösungen verändert sich
Nachhaltiger Genuss: Die Offenheit für Esslösungen verändert sich © (c) contrastwerkstatt - stock.adobe.

Neue Esslösungen

Genuss und Verantwortung gehen beim Trend „Real Omnivore“ Hand in Hand. „Bei den Jüngeren verändert sich die Offenheit für Esslösungen. Ethik, Fleischkonsum, Nachhaltigkeit – das sind hochgradig, emotionale Debatten, das zeichnen auch Studien nach“, erklärt Rützler. Man suche nach neuen Lösungen und sei offen für kulinarisch neue Antworten. Motto: „Wenn ein Fleischersatzprodukt gut ist, warum nicht?“

Der Umgang mit Abfall

In der Reihe der von Hanni Rützler definierten rund 40 Food-Trends greift die Ernährungsexpertin bewusst „Zero Waste“ heraus, „einen kleinen mächtigen Trend“. Die veränderte Wahrnehmung im Umgang mit Abfall öffne auch die Tür zu einer nachhaltigen Ernährungsweise. „Viele sagen, die Pandemie bremst das Thema. Ich sage, das Gegenteil ist der Fall. Weil sichtbar wird, welche Müllberge wir produzieren, schärft das die Wahrnehmung.“