Als Ende November 2021 von einer neuen, sich schnell ausbreitenden Variante des Coronavirus berichtet wurde, sprach man noch von B.1.1.529. Die Zuschreibung "Omikron" erhielt die Variante erst ein paar Tage später. Als eine der Ersten auf Omikron gestoßen war Angelique Coetzee, Ärztin in Pretoria, Südafrika, und Vorsitzende der South African Medical Association. Sie behandelte Menschen, die sich mit Omikron infiziert hatten und an Covid-19 erkrankt waren.

Coetzee bemerkte etwas andere Symptome, generell mildere Verläufe bei ihren Patientinnen und Patienten. Und sie teilte dieses Wissen auch in Interviews. "Die Patienten klagen meist über einen schmerzenden Körper und Müdigkeit, extreme Müdigkeit, und wir sehen es bei der jüngeren Generation, nicht bei den älteren Menschen", sagte sie gegenüber dem Sender BBC. Dem "Telegraph" sagte sie, man müsse sich aber Sorgen machen, dass die neue Variante ältere Menschen, die zusätzlich an Diabetes oder Herzkrankheiten litten, viel härter treffen könnte. In Südafrika sind nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Sie sei zum ersten Mal auf die Möglichkeit einer neuen Variante aufmerksam geworden, als Anfang November Patienten mit ungewöhnlichen Covid-19-Symptomen in ihre Praxis in Pretoria gekommen seien. "Ihre Symptome waren so anders und milder als die, die ich zuvor behandelt hatte."

"Von derartigen Äußerungen Abstand zu nehmen"

Nun äußerte Coetzee in einem Interview mit "Die Welt" den Vorwurf, sie sei unter Druck gesetzt worden, eben nicht von einer milderen Erkrankung zu sprechen. "Mir wurde gesagt, ich solle öffentlich nicht erklären, dass es eine milde Erkrankung sei. Ich wurde gebeten, von derartigen Äußerungen Abstand zu nehmen und zu sagen, es sei eine ernste Erkrankung. Das habe ich abgelehnt." Wer genau diesen Druck auf sie ausgeübt hat, sagt Coetzee nicht. Der Druck sei von westlichen, nicht von der südafrikanischen, Regierungen gekommen, beispielhaft nennt Coetzee Vertreter der Niederlande und Großbritannien.

In einem aktuellen Interview mit dem "Daily Telegraph" präzisiert die Medizinerin, dass eine Omikron-Infektion bei Ungeimpften schwerer verlaufen könne, ein Großteil der Erkrankten würde aber mildere Verläufe durchleben. "Der Verlauf ist überwiegend mild. Ich sage nicht, dass man bei einem milden Verlauf nicht krank wird. Die Definition einer milden Covid-19-Erkrankung ist eindeutig, und das ist eine WHO-Definition: Patienten können zu Hause behandelt werden und eine Versorgung mit Sauerstoff oder Hospitalisierung ist nicht erforderlich. Eine schwere Erkrankung ist eine, in deren Verlauf wir akute Lungen- und Atemwegsinfektionen sehen: Die Menschen brauchen Sauerstoff, vielleicht sogar eine künstliche Beatmung. Das haben wir bei Delta gesehen – aber nicht bei Omikron", erklärte Coetzee im "Welt"-Interview.

Mehr auf Ärztinnen und Ärzte hören

Coetzee plädierte in dem Gespräch dafür, mehr auf Ärzte zu hören: "Dabei muss man sich in einer Pandemie nun mal auch ansehen, was an der Basis passiert. Bei den Hausärzten, die täglich Erkrankte behandeln, muss nachgefragt werden, was sie erleben, wie sich das Krankheitsbild darstellt."

Viele Regierungen hätten überreagiert, sagt Coetzee. Sie sprach vor allem die zahlreichen Grenzschließungen an. "Es wird einem Staat nicht helfen, die Grenzen zu schließen, denn das Virus macht an Grenzen nicht halt." Was gegen künftige Wellen helfen würde, sei ein Maßnahmen-Mix. "Ja, das Impfen ist wichtig, aber wenn Sie eine Welle kommen sehen, ist die wichtigste Maßnahme zu Beginn, dass Menschen Masken tragen und Abstand halten, also nicht-pharmazeutische Maßnahmen. Das muss durchgesetzt werden."

Was in dem Interview mit "Die Welt" nicht zur Sprache kam, ist, dass sich Südafrika und viele europäische Länder in einigen wichtigen Punkten in Bezug auf die Pandemie unterscheiden. So hat Südafrika eine jüngere Bevölkerung, die Altersstruktur ist eine andere. Das ist wichtig, weil das Covid-19-Risiko mit dem Alter ansteigt. Auch die Grundimmunität in der Bevölkerung ist eine andere, in Südafrika hatten mehr Menschen zumindest einmal Kontakt mit dem Virus als etwa in Österreich. Auch klimatische Bedingungen oder die Besiedlungsdichte sind bei Ländervergleichen zu beachten.

Die Virologin Dorothee von Laer sagte am 29. November übrigens auf die Frage, ob die Aufregung, die um Omikron veranstaltet wird, zu groß sei: "Aufregen können wir uns dann, wenn wir mehr wissen. Aber die Achtsamkeit und das Bemühen, jetzt rasch mehr über diese Variante zu lernen – das ist schon sinnvoll. Wir müssen die Eigenschaften dieser Variante erfassen, vorerst kennen wir nur die Mutationen."