Manche Felle sind verteilt, bevor die Schlacht geschlagen ist. In den Hinterzimmern werden bereits personelle Kuhhandel für die Zeit nach der Wahl am 10. August beschlossen, während die Öffentlichkeit bis jetzt weder die Bewerber und Bewerberinnen für die ORF-Generaldirektion noch ihre Schwerpunkte kennenlernen konnte.

Einsamer Fixstarter ist bislang Alexander Wrabetz. Was er in seiner dritten Periode als Generaldirektor geschafft hat, ist neben einer finanziellen Konsolidierung die Umsetzung der Standortentscheidung für den Küniglberg. Fast schon heimlich erneuert sich der ORF zur modernen, zeitgemäßen Infrastruktur, inklusive eines multimedialen Newsrooms. Die spektakuläre technische Metamorphose, die mit einer strukturellen Neuordnung einhergeht, verändert die redaktionelle Arbeit nachhaltig und dürfte den Tanker wendiger machen. Ob Wrabetz, wie er es sich wünscht, das Schleiferl bei der Eröffnung 2022 durchschneiden wird dürfen, ist mittlerweile mehr als fraglich. Bis seine Konkurrenz aus der Deckung kommt, übt er sich im Schattenboxen. Die Bestellung zum Generaldirektor wird zur österreichischen Farce.

Was seine Nachfolge betrifft, hat der 35-köpfige Stiftungsrat die Zügel in der Hand und zeigt kurz vor der Wahl Schwächen und Stärken seiner Konstruktion. Dabei ist es nicht allein die politische Lagerbildung mit ihrem Euphemismus der "Freundeskreise", der dem obersten ORF-Gremium im Weg steht, die sich als problematisch erweist. Es ist auch die Medienmanagementerfahrung, die den meisten Mitgliedern fehlt: Anstelle eines Expertengremiums sind es mehrheitlich Stimmberechtigte mit Klubverpflichtung, die im August entscheiden.

Die gebräuchliche Terminologie ist entlarvend: Nicht von Bewerbern, sondern von Kandidaten ist die Rede. Zudem hat der Begriff "ORF-Wahl" eindeutig eine politische Konnotation. Letztlich ist mit diesen eingeübten österreichischen Praktiken weder dem ORF noch jenen Stiftungsräten gedient, die sich glaubwürdig um einen unabhängigen ORF bemühen. Dazu kommt der "enorme Druck", der auf die "freien" Mitglieder ausgeübt wird, wie Ex-Stiftungsrat FranzKüberl 2016 klagte.

Kein Duell der besten Köpfe

Als ORF-Redakteursvertreter DieterBornemann am Montagabend den Concordia-Preis für Pressefreiheit erhielt, ging er in seiner Dankesrede auch auf seinen Arbeitgeber und die anstehende ORF-Wahl ein: Warum engagiere der Stiftungsrat keinen Headhunter, um den besten Generaldirektor, die beste Generaldirektorin zu erhalten, fragte Bornemann. Und warum gebe es keinen Wettbewerb um die besten Ideen, wie der ORF künftig aussehen soll? Die Antwort gab sich Bornemann selbst: "Es geht nicht um die besten Ideen." Stattdessen entscheide der Bundeskanzler, wer künftig den ORF leiten soll. "Zu glauben, die ORF-Führung wird ohne die Zustimmung des Bundeskanzlers bestellt, ist nahezu naiv."

Nicht gesprochen wird im "ORF-Wahlkampf" von jenen, die das Programm konsumieren sollen: das ORF-Publikum. Statt sich zu fragen, wie junges Publikum wieder erreicht werden kann, soll die Zielgruppe (bisher 12-49 Jahre) von ORF 1 nach oben gehoben werden, wie es das Strategiepapier von Wrabetz vorsieht. Auch wenn der ORF Player kommt (ein Begriff, der zumindest nach Zukunft aussieht): Die Grundhaltung, bestehendes lineares Programm für die nonlineare Distribution aufzubereiten, belegt das fehlende Verständnis im Umgang mit der Konkurrenz von Netflix und Co. Erst wenn der ORF in der Lage ist, autonomes nonlineares Programm zu produzieren, hat eine breit angelegte österreichische Streamingplattform eine Ausrichtung, die glaubwürdig auf junges Publikum abzielt.

Politik trocknet den ORF aus

Die Politik stiehlt sich seit Jahren aus der Verantwortung, zeitgemäße Rahmenbedingungen zu schaffen. Bestes Beispiel und dennoch nur ein Teilaspekt ist die Sieben-Tage-Regel, die vorgibt, wie lange Inhalte online abrufbar sind: Ihre Abschaffung wurde bereits 2016 vor der letzten Wrabetz-Kür gefordert. Getan hat sich nichts. Und die vom damaligen Medienminister Gernot Blümel initiierte Medienenquete löste 2018 eine umfassende Debatte aus, was ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk künftig leisten soll. Politische Konsequenzen blieben aus. Auch weil die Gebührendebatte wie das Amen im Gebet auftaucht und jede inhaltlich substanzielle Debatte übertönt.

Vom Ausschreibungstext, der morgen veröffentlicht wird, sind keine Überraschungen zu erwarten. Die Fähigkeit "zur Übernahme komplexer und verantwortungsvoller Führungsaufgaben" wurde 2016 von Bewerbern verlangt. Diese Stehsätze passen ebenso ins Bild wie die Tatsache, dass die Ausschreibungen für 2011 und 2016 fast ident waren: Am Ende werden nicht gute/schlechte Bewerbungsunterlagen über die Personalie entscheiden, im schlimmsten Fall nicht einmal Erfahrung oder Kompetenzen.

Die Entscheidung, wer künftig das mächtigste Medienunternehmen des Landes führt, wird an den Sehern vorbeigeführt. Wodurch der Wahlkampf um die ORF-Generaldirektion endgültig zur Kuriosität wird: Nicht nur fehlen die (weiteren) Kandidaten, auch die Themensetzung und die Zuschauer sind sechs Wochen vor der Abstimmung im Stiftungsrat abwesend. Der ORF taumelt ins Ungewisse.