Trotz Corona-bedingter Verzögerung schafft es der ORF doch noch, das Genie rechtzeitig zum 250. Geburtstag (16. Dezember) zu ehren. Am 23. Dezember wird „Louis van Beethoven“, Opus von Niki Stein (Regie und Drehbuch), in ORF2 ausgestrahlt. Wobei die Person des großen Meisters in drei Phasen „zerlegt“ wird. Das Kind Beethoven verkörpert der Jungpianist Colin Pütz, Tobias Moretti spielt ihn am Ende seines Lebens, und Anselm Bresgott stellt ihn im „rebellischen“ Alter dar. Für den 21jährigen, hochtalentierten Berliner sicher die bisher wichtigste Aufgabe seiner jungen Karriere.

Wie fühlt man sich, wenn man auf einmal das Angebot erhält, zum Casting für die Rolle des Ludwig van Beethoven zu kommen?
Anselm Bresgott: Allein dieser Name bedeutet eine Riesen-Herausforderung, und die Aufgabe, sich diese Persönlichkeit abseits vom großen Schein als Mensch vorzustellen.

Nicht von ungefähr wird er ja immer als „Titan“ bezeichnet?
So ist es. Vor dem letzten Casting habe ich ein Coaching gemacht, um – relativ von seinem Schatten befreit – hingehen zu können. Es wurde eine relativ verrückte Angelegenheit, denn zuvor bin ich urplötzlich zwei Mal in meine Lieblingseisbude gegangen und habe Sorten bestellt, die ich sonst nie gegessen habe: Schoko und Pistazien. Die sind für mich, ganz klar definiert, auf IHN zugetroffen. Ich habe auch gleich eine ganz andere Körperhaltung eingenommen. Das war ein wirklich skurriler Moment.

Und ist dieses Gefühl geblieben?
Auf jeden Fall. Die nächsten wesentlichen Augenblicke kamen, als ich zu Kostümproben nach Prag fuhr. Das hat viel mit meinem Körper gemacht. Ich habe den fertigten Film vor zwei Monaten zum ersten Mal anschauen dürfen, und dieses Gefühl, mich von außen betrachten zu können, war recht eigenartig. Als ich damals zum Set kam, habe ich mir an die Brust geklopft und die Ode an die Freude angestimmt. Dabei hatte ich das Gefühl: Ludwig, ja, jetzt steigt er in meinen Körper ein. Die Musik, die mich dann bei den Dreharbeiten begleitete, haben wir übrigens immer kurz vor den Szenen live aufgenommen, das waren keine vorproduzierten Playbacks. Das gibt dem Film sicher eine ganz eigene Note. Über diese mutige Entscheidung bin ich sehr froh, denn sie hat gewiss viel zur Stimmung während der gesamten Arbeitszeit beigetragen.

Welcher Mensch, denken Sie, war Beethoven in Ihrem Alter?
Die große Herausforderung schien mir, das Opfer herauszustellen, das er damals im Endeffekt brachte, indem er Bonn verließ, wo es ihm ja nicht schlecht ging. Er ließ alles zurück und hat eigene Verantwortung übernommen. Denn er verstand vieles, was andere in dieser Zeit noch nicht verstanden. Vorher war er ein junger Mann, der eigentlich noch Kind sein wollte, aber Vater und Mutter ernähren musste. Ich glaube, er war ziemlich hin und her gerissen, und es war die Musik, die ihm die innere Freiheit brachte. Ich halte ihn für einen Mann, der nicht so fest an Zielen orientiert war, sondern an Werten. Und damit hat er ein Maximum von dem erreicht, was man erreichen kann. Manche glauben, Beethoven war ein Mann, der nicht sehr viel Zugang zu sozialen Momenten hatte. Doch in Wahrheit hat er sehr früh seine Sprache entdeckt. Eine Sprache, die andere, wie gesagt, gar nicht verstanden. Ich habe gemerkt, dass ich im Film relativ häufig meine Augen weit geöffnet habe. Das hat sich faktisch von selbst gespielt – als Signal dafür, wie er seine Sprache fand und hörte. Und Beethoven hat sich ziemlich schnell entschieden, diese Urkraft anzunehmen.

Der italienische Tenor Andrea Bocelli hat einmal gesagt: Nicht Esperanto, sondern die Musik ist die universellste Sprache, die es gibt?
Dem kann ich mich durchaus anschließen. Eine Sprache, die manchmal nicht zu erklären ist, aber mit der man sich trotzdem verständigen kann, frei und unabhängig. Es ist ein existentielles Verständnis, wie man das sonst nirgendwo erlebt.

Sind Sie aus dieser Rolle wieder leicht rausgekommen?
Als ich dachte, ich sei fertig, habe ich mir auf die Brust geklopft und Sachen gesungen, die ich selbst kreiert hatte. Das sollte mir wieder Zugang zum eigenen Leben und Kraft für den nächsten Tag geben.

Die musikalische Ader war also bei Ihnen von Grund auf da?
Durch meinen Vater habe ich mich stark mit alter Musik beschäftigt. Ich bin in einem Chor-Haushalt und in Kirchenräumen groß geworden. Und es war selbstverständlich, dass ich Instrumente lernte. Klavier, Gitarre und Handpan.

Und was treiben Sie im Augenblick?
Ich bin in einer konkreten Findungsphase, um der Musik jenen Raum zu geben, den sie braucht in meinem Leben, also, wie Beethoven, meine „Stimme“ zu finden. Vier Songs habe ich ja, ohne Label, bereits veröffentlicht, die großen Sachen habe ich aber noch vor mir. Alles befindet sich sozusagen in den Startlöchern.

Gibt es auch einen neuen Film, in dem Sie mitwirken?
Ich habe „Tyrannenmord“ abgedreht. Da geht es um Männlichkeit und eine Vater-Sohn-Beziehung, ein Thema, das ja auch in „Louis van Beethoven“ einen festen Platz hat. In „Louis van Beethoven“ geht es ja nicht so sehr um seine Triumphe, sondern um die Fragen: Woher kommt er? Welcher Mensch ist er? Und wo und wie ist er es geworden? Die Antwort: Egal, wo du herkommst, alles ist möglich, aber es erfordert seine Opfer. Dann brauchst du auch gar keine Ohren, um, wie der taub gewordene Ludwig, die Neunte zu schreiben.

Unsere Kritik

Niki Stein war als Twen fasziniert von „Amadeus“. Den Beethoven-Film des deutschen Regisseurs mit dem Mozart-Film von 1984 zu vergleichen, wäre aber allein schon angesichts der Geldscheinsonate ungerecht, die Hollywood auch für den später mit acht Oscars prämierte Drama anstimmen konnte.

Außerdem: Während Miloš Forman auf das fast circensische Duell zwischen Superstar Mozart und dem (nur hier herabgestuften) Mittelklässler Salieri setzt, verzichtet Stein trotz starken Einsatzes von Werken des Meisters sowie von Bach, Händel und Mozart ganz auf Hitparade, Heroentum und Hagiographie.

Im Gegenteil: „Louis van Beethoven“, in 35 Länder verkauft, setzt geschickt auf drei sonst eher unterbelichtete Phasen des Komponisten: auf den Anfang als Wunderkind, auf die Jugendzeit vor dem Wechsel von Bonn nach Wien und auf den Lebensabend, von dem aus das revolutionäre, vielfach unverstandene Musikgenie zurückblickt.

Tobias Moretti, selbst sehr klassikaffin, gibt in dem üppigen, zeitweise übertheatralischen Ausstattungsfilm, der Fakt und Fiktion klug verzahnt, den alten, tauben Beethoven genüsslich als knorrigen Griesgram. Aus dem hochkarätigen Ensemble um Ulrich Noethen, Sabin Tambrea, Cornelius Obonya oder Manuel Rubey als Mozart sticht der Jüngste hervor: Colin Pütz (13) als kleiner Louis spielt nicht nur das Klavier, sondern auch die Rolle brillant. (Michael Tschida)