Mit dem Protagonisten ihres gefeierten Romans „Blauwal der Erinnerung“ teilt sie ein frappantes biografisches Detail: Der ukrainische Freiheitskämpfer, Historiker und Publizist Wjatscheslaw Lypynskyj (1882–1931) lebte jahrelang in Wien und fungierte hier zeitweise als ukrainischer Botschafter. Das tut sie nun auf gewisse Weise auch: Die ukrainische Journalistin und Schriftstellerin Tanja Maljartschuk, 2011 ins Exil gegangen und seither in Wien zu Hause, ist seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar des Vorjahres eine der gefragtesten Stimmen ihres Landes im Westen.

Immer wieder sieht sich die Bachmannpreis-Trägerin von 2018 dazu aufgefordert, über die Folgen des Krieges für sich und ihre Landsleute öffentlich Stellung zu beziehen: „Mein Leben und meine Arbeit sind Geiseln dieses Krieges“, stellte sie in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ dazu einmal fest. Privat sei sie „in ständiger Sorge um meine Eltern und Freunde“, beruflich ständig zu Stellungnahmen und Textbeiträgen angehalten, während ein lang recherchiertes Romanprojekt von den Ereignissen zunichtegemacht wurde: „Diesen Text über den Holocaust in der Ukraine werde ich nicht schreiben können, da der Krieg gegen die Ukraine, vorbereitet durch absurde Nazivorwürfe der russischen Führung, alle historischen Zusammenhänge aus den Angeln gehoben hat.“

Der Krieg als Zerstörer auch der Literatur. Dabei sind Maljartschuks Werkzeuge – Emphase, Expressivität, Analyse, Reflexion – weithin gefragt. Die Texte der 1983 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geborene Autorin, die seit 2014 in deutscher Sprache schreibt, werden – siehe „Biografie eines zufälligen Wunders“, „Überflutet“, „Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus“ – nicht nur für ihre schnörkellose Poesie gepriesen, sondern auch für ihre politische Wucht. So eröffnet sie folgerichtig mit der „Klagenfurter Rede“ heute das Wettlesen, das sie vor fünf Jahren selbst gewonnen hat.