Frau Precht, inwiefern unterscheidet sich die Coronakrise von anderen Krisen?
Anke Precht: Im Gegensatz zu einer Entwicklungskrise, zum Beispiel dem Übergang von der Ausbildung in den ersten Job mit Verantwortung, betrifft die Coronakrise ganz viele Lebensbereiche gleichzeitig. Ausbildung und Schule, Job, Familie, das ganze Privatleben. Alles ist anders. Gleichzeitig geht das nicht nur einzelnen so, sondern fast allen.
Kann man es selbst beeinflussen wie man eine Krise erlebt?
Man kann bei einer Krise wie Corona nicht beeinflussen, ob sie passiert. Aber wie man sie erlebt. Akzeptieren ist der wichtigste Schlüssel, also wahr-haben: Das ist eine Krise. Sie hebt das Leben aus den Angeln. Damit gilt es jetzt umzugehen. Je früher man das als Herausforderung annimmt, je kürzer man dem Vergangenen nachtrauert, umso leichter kann man sich der Krise stellen.
Gibt es so etwas wie einen Leitfaden durch Krisen? Wie erkennt man sie? Wie löst man sie?
Eine Krise hat immer etwas von einer Katastrophe. Man fühlt sich schrecklich, hat Angst, oder den Eindruck: Alles was mal richtig schien, gilt nicht mehr. Das bisherige Weltbild bricht zusammen. Erst einmal braucht es nichts weiter als das zu akzeptieren. Vielleicht schläft man schlecht oder träumt wild. Vielleicht toben unbekannte Gefühle durch den eigenen Körper. Es gilt in der ersten Phase, das einfach zu begreifen. Was ist los? Was ist anders? Dann sollte man dafür zu sorgen, dass die Energie, die vielleicht noch in Angst gebunden ist, nutzbar wird.
Bewegung, Atmen, und dann schauen: Was kann ich tun? Was ist jetzt dran?
Krisen werden auch im Job immer wieder als Chance gesehen. Warum braucht es sie als Triebfeder, um sich zu verändern?
Menschen tun mit Leichtigkeit immer das Gleiche. Das hat mit der Beschaffenheit des Gehirns zu tun, das immer festere Bahnen baut für bestehende Gewohnheiten. Das gilt auch und ganz besonders für den Job. Je länger wir in einem Job sind, umso weniger schauen wir über den Tellerrand. Eine Krise bringt uns nicht nur dazu, über den Tellerrand zu schauen – sie katapultiert uns gleich aus dem Teller heraus, sodass wir gar nicht anders können, als neue Wege auszuprobieren. Das macht Krisen so unendlich wertvoll.
Vielen macht bei der Arbeit vor allem die Ungewissheit Sorgen – werde ich meinen Job behalten? Steigen die Infektionszahlen wieder an? Wie kann man sich hier psychisch rüsten?
Vielleicht einfach einmal das Gegenteil probieren. Ein Experiment machen. Anstatt zu überlegen: Wie kann ich die Sicherheit wiederherstellen? Genau das Gegenteil tun: Wenn die Krise zu den schlimmsten Konsequenzen führt, die ich mir vorstellen kann: Was mache ich dann? Danach alle Szenarien dazwischen durchdenken. Wenn äußere Sicherheit abhandengekommen ist, braucht es innere Sicherheit. Das Gefühl: Selbst wenn es zum Schlimmsten kommt, kann ich noch etwas tun. Auch wenn es nicht das ist, was ich mir gewünscht habe. Mehr zum Thema
Mitarbeiter brauchen Beziehungssicherheit. Und zwar mehr als die üblichen Ermutigungsparolen wie „Wir sind gut aufgestellt“, „Wir werden niemanden entlassen“. Mitarbeiter brauchen nun die Gewissheit, informiert zu sein und Vertrauen zu genießen. Das bedeutet: Regelmäßige, ehrliche Information: „Wir haben einen Kunden verloren. Es gibt Außenstände. Die Situation ist herausfordernd. Wir brauchen Ideen für… Bitte helft alle mit.“ Das könnte wichtig sein. Außerdem regelmäßige Kommunikation mit dem Mitarbeiter, besonders, wenn er im Homeoffice ist: „Wie kommst du gerade klar? Brauchst du Unterstützung? Hast du eine Erfahrung gemacht, die anderen helfen kann?“. Das signalisiert: Wir stehen zusammen. Es setzt Ressourcen frei und Motivation, und das hilft nicht nur den Mitarbeitern, sondern infolge auch dem Unternehmen. Die meisten Mitarbeiter wollen sich in Krisen verstärkt einbringen, sie stehen in den Startlöchern und, weil sie eben auch „aus dem Teller geflogen sind“, sind in der Lage, anders mitzuhelfen als bisher. Das gilt es unbedingt einzusammeln und zu nutzen, für das gemeinsame Ziel.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Haben Sie keine Angst vor der Angst“. Wie kommt man an diesen Punkt?
Angst ist ein Gefühl. Sie gehört zur Wandlung dazu. Ohne Angst keine wirkliche Veränderung. Es ist wichtig, das zu wissen, damit man Angst nicht bewertet. Wer Angst vor Angst hat, will die Angst los werden. Er sucht Ablenkung, trinkt oder isst zu viel oder verdrängt die Herausforderungen. Wer weiß, Angst gehört dazu, ist leichter dazu bereit, sie einige Tage auszuhalten, bis die ersten Ideen da sind, etwas Neues zu schaffen.
Was kommt nach der Angst?
Das ist das Beste – nach der Angst kommt eine riesige Menge an Energie. Nachdem man vielleicht gerade noch gedacht hat, alles sei vorbei, strahlt plötzlich die ganze Welt in den buntesten Farben. Neue Ideen tauchen auf, neue Freunde, festgefahrenes beginnt sich zu verändern. Das alles geschieht mit einer großen Leichtigkeit und Kraft. Es ist eine fantastische Phase voller Zauber. Der klassische Neuanfang, von dem schon Hermann Hesse so wundervoll geschrieben habt.