Warum wurde nach dem Okay der europäischen Zulassungsbehörde EMA noch das nationale Impfgremium befragt, ob doch eine Altersgrenze bis 65 eingezogen wird?


WIRTHUMER-HOCHE: Das wissenschaftliche Gremium der EMA hat eine bedingte Zulassung für den Impfstoff AstraZeneca bei Personen ab 18 Jahren empfohlen, die EU-Kommission hat daraufhin den Impfstoff zugelassen. Es gibt keine Altersgrenze, ab der der Impfstoff nicht mehr verimpft werden soll, aber die meisten Teilnehmer an den klinischen Studien waren zwischen 18 und 55 Jahre alt. Es gibt noch nicht genügend Daten für ältere Teilnehmer, aber es wird ein Schutz erwartet, da in dieser Altersgruppe eine Immunantwort beobachtet wird und aufgrund der Erfahrungen mit anderen Impfstoffen. Es ist nun eine Entscheidung des jeweiligen Impfarztes nach einer Nutzen/Risiko-Abschätzung, ob dieser Impfstoff einer älteren Person verabreicht wird. Um diese Entscheidung zu erleichtern, gibt das jeweils nationale Impfgremium eine generelle Impfempfehlung zusätzlich zur Information in Fach- und Gebrauchsinformation ab.


Die EMA ist bekannt für ihre ausführlichen Prüfungen: Wie erfolgt die Zulassung eines Impfstoffes im Detail?


Für Impfstoffe gilt das gleiche zentrale Verfahren wie für andere innovative Arzneimittel: Das Dossier wird seitens des Antragstellers bei der EMA eingereicht, es wird ein Rapporteurteam und ein Co-Rapporteurteam ernannt, die hauptverantwortlich das Dossier bewerten. Ein Team besteht jeweils aus etwa zehn Experten aus mehreren Bereichen – vor allem Qualitätsexperten, Präkliniker, Kliniker, Biostatistiker. Beide Teams untersuchen die Studienergebnisse und erstellen ein Gutachten. Die Teams stammen jeweils aus einer nationalen Gesundheitsbehörde eines EU-Mitgliedslandes.


Wie werden die Ergebnisse dann in der EU vergemeinschaftet?


Die Gutachten werden dann dem Committee for Human Medicinal Products (CHMP) vorgelegt. Das CHMP besteht aus Fachexperten der einzelnen EU-Staaten plus den Vertretern von Liechtenstein, Norwegen und Island. Diese Experten wiederum koordinieren zu Hause, in ihren nationalen Behörden, Expertenteams, die diese Arbeit bewerten. Es ist ein engmaschiges, europäisches Netzwerk, hier arbeiten die besten Experten.


Wie viele Experten arbeiten an diesem Zulassungsprozess?


Man kann schon von etwa 100 Experten pro Verfahren ausgehen, die letztlich involviert sind im gesamten europäischen Netzwerk.
Welchen zeitlichen Rahmen hat man sich gesteckt?
Normalerweise sind es 210 Tage bis zur Zulassung. Für Covid-Arzneimittel haben wir das Verfahren auf wesentlich weniger Tage komprimiert und arbeiten Tag und Nacht daran. Möglich ist das deshalb, weil wir ein sogenanntes Rolling-Review-Verfahren eingeführt haben, in dem man nicht auf das Gesamtdossier des Pharma-Unternehmens wartet, sondern laufend abgeschlossene Datenpakete erhält, die unverzüglich bewertet werden. Das heißt, dass vorab, bevor der Antrag auf Zulassung gestellt wird, schon Bewertungsschritte durchgeführt worden sind.


Erfolgt die Zulassung endgültig, ohne weitere Auflagen?


Nein. Es gibt neben einem eigenen Risikomanagement-Plan noch weitere Auflagen, wie und ob noch weitere Studien durchgeführt werden müssen – und es werden engmaschige Berichte darüber eingefordert, ob, wie oft und zu welchen Nebenwirkungen es kommt. Außerdem darf ein Produkt nach der Zulassung nicht am nächsten Tag verkauft werden – es braucht noch die analytische Freigabe durch ein offizielles Kontroll-Labor eines EU-Staates. Beim Moderna-Impfstoff führt diese Kontrolle zum Beispiel das österreichische Labor des Bundesamtes durch.


Die Politik hat den Zulassungsprozess als zu lang bezeichnet. Ist die EMA gegen politischen Druck ausreichend immunisiert?


Bei der wissenschaftlichen Bewertung steht der Mensch im Mittelpunkt, es geht um die öffentliche Gesundheit. Speziell jetzt in der Krise konzentriert man alle Ressourcen auf die Prüfung. Klar ist: Die eingereichten Anträge zur Zulassung eines Präparates werden entsprechend den bestehenden hohen Standards geprüft. Dabei gibt es keine Kompromisse.


Und keine Notfallzulassung wie in den USA und Großbritannien.
In den europäischen Gesetzen ist eine Notzulassung, wie sie die USA hat, nicht vorhanden. Es gibt zwar Bestimmungen, die national einen gewissen Freiraum ermöglichen könnten, wir wollen aber alle, dass die Produkte bestens geprüft werden.


Wie erfolgt die internationale Zusammenarbeit bei den Impfstoffen?


Wir haben regelmäßige Tele-Konferenzen, etwa mit Nordamerika und der Weltgesundheitsorganisation. Auch über den Stand der Entwicklung verschiedener Produkte, der Zulassung weltweit tauschen wir uns aus oder über Nebenwirkungsmeldungen.


Wie haben Sie die letzten Wochen und Monate erlebt?


Man wacht mit dem Thema Impfstoff auf und schläft mit dem Thema ein. Es war und ist sehr intensiv. Jetzt müssen wir durchhalten, bis jeder, der sich impfen lassen möchte, bei der Impfung drankommt. Solche Impfstoffe können leider auch nicht von heute auf morgen für alle produziert werden. Mehrere weitere Impfstoffe sind ja in der Pipeline und werden bereits geprüft.