Wenn der Schweizer Bundesrat an einem Sonntag zusammenkommt, dann ist es ernst. Am vergangenen Sonntag musste der Bundesrat, die Regierung Helvetiens, an die Arbeit. Die Corona-Pandemie zwang die drei Ministerinnen und vier Minister zur Krisensitzung. "Die zweite Welle ist da, und sie ist stärker als gedacht", warnte Gesundheitsminister Alain Berset die Bevölkerung.

Vorher hatte der Chef der Schweizer Wissenschaftstaskforce zu Covid-19, Martin Ackermann, zugegeben: "Die rapide ansteigenden Corona-Fallzahlen sind ein Schock." Zuletzt verdoppelte sich Helvetiens Zahl der frischen Infektionen innerhalb einer Woche und durchbrach erstmals klar die Rekordmarke von 3000 an einem Tag – ein alarmierender Wert für ein Land mit 8,6 Millionen Einwohnern. Die "Südostschweiz" aus Chur zog einen brisanten Vergleich: "Wir weisen die Hälfte der täglichen Ansteckungszahlen von Deutschland auf, sind aber zehnmal kleiner als unsere Nachbarn." Die reiche und durchorganisierte Schweiz, so lautete die düstere Prognose, entwickele sich zum "internationalen Corona-Hotspot".



Der Bundesrat musste reagieren. Und er schränkte das Miteinander in der gesamten Schweiz wieder schmerzlich ein, das gilt für Inländer und Ausländer, die in Helvetien leben und arbeiten. Damit steuert die Eidgenossenschaft möglicherweise einem erneuten Lockdown entgegen, wie im Frühling. Seit Anfang dieser Woche sind etwa "spontane Menschenansammlungen von mehr als 15 Personen" im öffentlichen Raum verboten. Menschen ab zwölf Jahren müssen in allen "öffentlich zugänglichen Innenräumen" wie Geschäften und ebenso in allen Bahnhöfen, Flughäfen und an Bus- und Straßenbahnhaltestellen eine Maske tragen. Gäste dürfen in Lokalen nur sitzend speisen und trinken. Einige der Maßnahmen galten schon auf kantonaler Ebene.

Noch im Juni schien Helvetien aus dem gröbsten Corona-Schlamassel heraus zu sein. Der Bundesrat registrierte nur vereinzelte Ansteckungen und hob die scharfen Covid-19-Restriktionen weitgehend auf. Seit Anfang Oktober können die Kantone sogar Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen wieder erlauben – eine der am weitesten gehenden Lockerungen in Europa. Wie konnte es wieder so brenzlig werden? Wer trägt die Verantwortung an der Entwicklung? Als eine Erklärung verweisen Experten auf sinkende Temperaturen. "Mit dem kalten Wetter, bei dem sich die Leute wieder vor allem in Innenräumen aufhalten, haben wir eine exponentielle Ausbreitung ähnlich wie Anfang März", so der Berner Epidemiologe Matthias Egger.



Hinzu grassierte Sorglosigkeit – mit vielen Partys, draußen und drinnen, sowie feuchtfröhlichen Nächten in Clubs, Bars und Discos. Die Regierung muss sich den Vorwurf der Planlosigkeit gefallen lassen – etwa bei der Maskenpflicht. Erst Anfang Juli führte das Regierungsgremium obligatorischen Mund-Nasen-Schutz im öffentlichen Verkehr ein, erst jetzt verschärfte der Bundesrat diese Pflicht.