Der Cosa-Nostra-Boss Matteo Messina Denaro wurde in einer Privatklinik in Palermo festgenommen. Laut Polizei wurde nun auch sein bisheriges Versteck entdeckt. Ihm werden mindestens 50 Morde zur Last gelegt. Er ist nur einer von vielen „EU Most wanted“.

Manche lächeln auf den Fotos, schauen aus wie der redselige Nachbar, die lustige Supermarktkassiererin oder der freundliche Bankberater. Andere haben einen kalten, durchdringenden Blick. Die meisten sehen aus wie auf einem typischen Passfoto. Doch die 81 Abgebildeten haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind Schwerverbrecher oder werden schwerer Verbrechen dringend verdächtigt und sind auf der Flucht. Es geht um Europas „most wanted“, die meistgesuchten Verbrecher der EU. Europol führt eine Liste mit Steckbriefen, über die Öffentlichkeit erhofft man sich einen Fahndungserfolg. Die Informationen für die Seite stellen die jeweiligen nationalen Behörden zur Verfügung. 

75.000 Euro Belohnung

Auffällig ist, dass manche mit einem roten Banner als „gefährlich“ markiert sind und einige mit dem Vermerk „Belohnung“. Der größte Betrag – 75.000 Euro – ist für Hinweise auf einen Niederländer ausgelobt, der auf den Spitznamen „Dicker Jos“ hört. Jos Leijdekkers wird verdächtigt, eine Schlüsselfigur im internationalen Drogenhandel zu sein. Via Rotterdam und Antwerpen soll er Kokain im großen Stil importiert und die daraus erzielten Gewinne im höheren zweistelligen Millionenbereich gewaschen haben.

Bei seinen Geschäften soll er vor „exzessiver Gewalt“ nicht zurückschrecken. Vor einem Jahr tauchten Hinweise auf, die Leijdekkers mit der im Oktober 2019 in Amsterdam verschwundenen Naima Jillal in Verbindung brachten. Auf den Fotos soll ihre Leiche zu sehen sein. Laut niederländischen Medien wurde Jillal für das Scheitern eines Kokain-Deals verantwortlich gemacht, vor ihrem Tod soll sie noch gefoltert worden sein.    

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Drei Österreicher auf der Liste

Während der „Dicke Jos“ einer der neueren Zugänge bei den „most wanted“ ist, wird nach anderen schon seit Jahrzehnten gefahndet. Die Website gibt es zwar erst seit Anfang 2016, doch darauf zu finden sind auch (mutmaßliche) Verbrecher, deren Taten weiter zurückliegen.

Einer der zumindest in Österreich bekanntesten Namen ist Tibor Foco. Am 13. März 1986 ermordete der damals 30-jährige Ex-Rennfahrer in Linz eine Prostituierte, ein Jahr später wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. 1995 flüchtete er, seit nunmehr 28 Jahren fehlt jede Spur von ihm. Die Belohnung für Hinweise beträgt 20.000 Euro. 

Neben Foco zählen derzeit zwei weitere Österreicher zu den „most wanted“. Zum einen ist da der mutmaßliche Drogenboss Martin Schabel, seine Spur verliert sich im April 2021 in Italien. Seine Bande soll via Darknet Tausende Drogendeals abgewickelt haben und dabei höchst professionell vorgegangen sein – etwa, in dem man einen eigenen Mobilfunk-Server anmietete, um nicht abgehört zu werden. Die Ermittlungen gegen Schabel wurden zusätzlich erschwert, da verurteilte Komplizen große Angst vor dem gelernten Fleischhauer haben. Er gilt als gefährlich und möglicherweise bewaffnet.

Der dritte Österreicher ist Jan Marsalek. Der Hauptverdächtige im Wirecard-Betrugsskandal (es geht um Bilanzfälschungen im Umfang von mindestens 1,9 Milliarden Euro) ist kurz, nachdem die Sache publik geworden ist, über Österreich mit einem Kleinflugzeug nach Weißrussland geflüchtet. Dort verliert sich seine Spur, als möglicher Aufenthaltsort gilt Moskau.

Die drei Österreicher unter den most wanted. Die Flagge bezieht sich auf das Land, das Fahndet, nicht auf die Nationalität der Verdächtigen.
Die drei Österreicher unter den most wanted. Die Flagge bezieht sich auf das Land, das Fahndet, nicht auf die Nationalität der Verdächtigen. © kk

Nur fünf Frauen auf Liste 

Auffällig ist, wie wenig Frauen sich auf der Liste befinden – fünf, um genau zu sein. Unter ihnen finden sich etwa eine deutsche Krypto-Betrügerin, eine Slowakin, die ihren Mann für 50.000 Euro ermorden lassen wollte oder eine Rumänin, die als Kopf einer kriminellen Organisation unter anderem Mädchen sexuell ausgebeutet hat. 

Wer kommt auf die Liste?

Mit Ausnahme von Irland und Portugal nehmen alle EU-Mitgliedsstaaten an der Europol-Kampagne teil. Sie bestimmen jene Personen, nach denen auf diese Weise öffentlich gefahndet werden soll, heißt es auf Anfrage der Kleinen Zeitung aus dem Bundeskriminalamt. Dabei stehen jedem Staat grundsätzlich zwei Plätze zur Verfügung, diese können aber anlassbezogen erweitert werden. Aus diesem Grund wurde auch Friedrich Felzmann 2019 von der Liste gestrichen, er befindet sich aber noch auf der nationalen Fahndungsliste. 

Die „most wanted“ sind aber, so betont man im BKA, nur eine begleitende Maßnahme bei Fahndungen. Rund zwei Drittel der so Gesuchten würden gefasst, viele von ihnen aber nicht direkt aufgrund von Hinweisen durch die Öffentlichkeit, sondern durch klassische Ermittlungsarbeit. Allerdings erhöht eine Öffentlichkeitsfahndung den Druck auf die Gesuchten enorm. Bei manchen so sehr, dass sie sich freiwillig stellen. Etwaige Belohnungen zahlt jenes Land, das nach der Person fahndet.

Mit regelmäßigen Kampagnen versucht die Europol, die Reichweite der Steckbriefe zu erhöhen – und damit auch die Aussicht auf einen Fahndungserfolg. Das Motto der derzeitigen Kampagne lautet „Game over – du könntest sie zu Fall bringen“. Verbrechersyndikate werden dabei als Kartenhaus dargestellt, das einstürzt, sobald man eine Karte herauszieht.